„Gut. Besser. KI?“, oder: Was passiert eigentlich nach dem Hype?

1. März 2019 | Dr. Tabea Golgath

Kein Tag vergeht, an dem in den Medien nicht brandheiße Neuigkeiten zu Künstlicher Intelligenz und unserer strahlenden Zukunft vorgestellt werden. Zuletzt wurde auf dem Mobile World Congress in Barcelona sogar eine KI-Zahnbürste vorgestellt – die Zukunft beginnt jetzt! Es ist soweit: quasi alles, was uns Science-Fiction-Romane und -Filme versprochen haben, scheint nun Realität zu werden. „Nichts ist unmöglich – KI!“ Aber ist KI wirklich das Wundermittel?

Kürzlich wurden in einem großen deutschen Unternehmen Mitarbeiter*innen im Controlling gefragt, was sie zukünftig tun würden, wenn eine KI das Zahlenwerk übernähme. In Folge auf die Frage brach in der Abteilung eine Diskussion aus, welche Tätigkeiten von einer „Maschine“ übernommen werden könnten und welche nicht. Alles rundum die Datenerfassung und Verarbeitung ist zweifelsohne leicht digital zu handhaben. Die letztendliche Interpretation der Zahlen scheint jedoch auf den ersten Blick von erfahrenen, menschlichen Mitarbeiter*innen abzuhängen – oder doch nicht?

https://job-futuromat.iab.de

Im Job-Futuromat wird der Grad der Automatisierbarkeit von Berufen analysiert und damit auch die potenzielle Ersetzbarkeit durch Maschinen prognostiziert. Ein*e Controller*in ist demnach zu 30 – 70 % durch KI-basierte Software ersetzbar. Die Bedrohung dieser Arbeitsplätze wird dabei trotzdem nur als „mittelmäßig“ eingeschätzt. Ein*e Museumsleiter*in kann wiederum nur schwer ersetzt werden, weil weniger als 30 % seiner Aufgaben von einer KI erledigt werden könnten. Ein sehr gefährdetes Arbeitsfeld ist hingegen das Sekretariat: Aufgaben wie Ablage, Büroorganisation, Korrespondenz, Telefondienst und Postbearbeitung sind heute schon leicht ersetzbar. Die Antwort auf die Frage, ob unser Arbeitsplatz bedroht ist, hängt also vom genauen Aufgabenspektrum ab.

Eine weitere Hypothese im Zusammenhang mit KI nagt sehr an unserer Selbstwahrnehmung als einzigartige Menschen und „Krone der Schöpfung“. Yuval Harari ergründete diese Empfindungen in seinem Buch „Homo Deus“: Sind wir gottgleich, wenn wir Maschinen schaffen, die selbst kreativ schöpferisch sind? Fragen dieser Art verunsichern immer noch viele Menschen – erstaunlicherweise in ähnlichem Maße wie die Diskussion um Genforschung, Paragraph 219a oder das Klonen.

Kfz-Mechaniker bei der Reparatur eines Motors (1952) | Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kfz-Mechatroniker | © Deutsche Fotothek (unter CreativeCommons: CC BY-SA 3.0 DE)

Die große Skepsis wird unter anderem durch fehlendes Verständnis für die technischen Prozesse in Bezug auf KI befeuert. Ein kurzer Rückblick:

Vor 50 Jahren konnte ein*e KFZ-Mechaniker*in an einem Auto mit den passenden Ersatzteilen und Werkzeugen alles reparieren. Vor 20 Jahren wurden bereits wichtige Elemente durch elektronische Steuergeräte ersetzt und vor der Reparatur mussten mit Diagnose-Geräten die Fehlerspeicher ausgelesen werden. Heute werden Autos vor digitalen Fremdzugriffen geschützt, die mitunter das gesamte Fahrzeug lahmlegen könnten. Moderne Autos assistieren dem*der Fahrer*in und treffen viele Entscheidungen bereits autonom. Für die Reparatur eines PKW wird man in 10 Jahren vermutlich eher eine*n Programmierer*in benötigen, als eine*n Mechaniker*in – der*die heute schon KFZ-Mechatroniker*in (Mechanik plus Elektrik) heißt. Wenn diese rasante technische Entwicklung unser Lebensumfeld weiter so massiv verändert, ist es nicht verwunderlich, dass wir uns im Kern infrage gestellt fühlen.

Als Historikerin schaue ich vielleicht anders auf die Welt und ihre Entwicklung, weil ich dazu neige, die Geschichte als Referenz zu nutzen. Für mich ist es daher sehr beruhigend, dass auch rund um technisch oder politische Meilensteine wie die Erfindung der Dampfmaschine, das Reisen mit der Eisenbahn oder die Einführung des Frauenwahlrechts große Befürchtungen zu den negativen Folgen diskutiert wurden: Kutscher fürchteten um ihre Arbeit und mancher Arzt sagte Schäden bei Reisenden in Lunge oder gar Gehirn voraus. Die vermuteten, schrecklichen Folgen für das zarte, weibliche Gehirn und die weibliche Körperchemie durch die Beschäftigung mit „Männerthemen“, wie Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft, sind glücklicherweise auch nicht eingetreten. Was wird nun in den kommenden Jahren passieren?

Wagen wir eine Prognose: Das Thema Künstliche Intelligenz, mit seinen vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, wird in den nächsten Jahren intensiv diskutiert und untersucht. Nach dem aktuell herrschenden Hype um die befürchtete Übernahme durch Roboter und die dramatischen gesellschaftlichen Folgen, werden wir feststellen, dass KI eher als Spezialwerkzeug für bestimmte Aufgaben zu verstehen ist, denn als Universalgenie mit eigener Persönlichkeit. Parallel werden durch Jurist*innen, Theolog*innen und Philosoph*innen ethische Fragestellungen verfolgt, um auf der einen Seite die Anwendungen von KI kontrollieren zu können und auf der anderen Seite mögliche gesellschaftliche Folgen zu begleiten. Irgendwann wird uns die Nutzung von KI in ihren unterschiedlichen Ausprägungen nicht mehr verunsichern, sondern ein vertrautes Alltagsmedium sein. In diesem Sinne ein Zitat meiner Tochter: „Mama, was habt ihr eigentlich gemacht, bevor es Smartphones gab?”

Nächste Woche werden wir uns dem Thema über eine ethische Fragestellung nähern. Bleiben Sie am Ball!

Autorin des Beitrags
Dr. Tabea Golgath
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