Künstliche Intelligenz performt live auf der Opernbühne in 
‚chasing waterfalls – Eine Artificial Intelligence Oper‘

26. September 2022 | Ein Beitrag von Natascha Wesiak

chasing waterfalls – An Artificial Intelligence Opera | © Manfred Vogel

Neue Strömungen in traditionellem Opernhaus

Was bisher nur menschlichen Künstler*innen vorbehalten war, wird in ‚chasing waterfalls‘ von einer Künstlichen Intelligenz (KI) übernommen: mehrere Algorithmen agieren als Co-Autorin, Co-Komponistin und als Co-Sängerin, die nicht nur die realen Sänger*innen mit ihrer computergenerierten Stimme unterstützen, sondern auch die Hauptpartie des Werkes interpretieren. Und das alles in einem Prozess, der während jeder Aufführung immer wieder auf ein Neues generiert wird und somit jede Performance zu einem Unikat macht. Die Semperoper Dresden eröffnete am 3. September 2022 den Premierenreigen ihrer Spielzeit 2022/23 mit diesem außergewöhnlichen Projekt, welches am 5. und 6. November 2022 beim New Vision Arts Festivals in Hongkong zu erleben sein wird, und das neue Strömungen und moderne Technologien auf die Opernbühne bringt.

Inhaltliche Aufarbeitung von KI in unserem Alltag

Inhaltlich widmet sich das Opernwerk keineswegs abstrakter Zukunftsmusik – vielmehr richtet es einen Spiegel auf unsere Gegenwart und thematisiert den großen Einfluss, den Digitalisierung, Internetnutzung und Social Media auf unsere heutige Gesellschaft und das Individuum ausüben. Egal ob über Suchmaschinen, Straßen-Navigation, Social Media Netzwerke, Online-Shopping, Online-Banking oder Video-Streaming – überall hinterlassen wir unsere Spuren und kreieren mit all den Inhalten zu unseren Aktivitäten und Vorlieben ein Alter Ego, eine Art zweite digitale Persönlichkeit. Aber wie viel Kontrolle haben wir selbst noch über dieses Alter Ego? Wie viel Einfluss nehmen computergenerierte Algorithmen und Programme mittlerweile auf unser menschliches, soziales und kreatives Sein? Wie sieht Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter aus? Inwieweit ist unsere als unveränderlich wahrgenommene Identität nicht vielmehr eine fließende, vielgestaltig-amorphe? Dies sind Fragen, zu deren Beantwortung chasing waterfalls auf künstlerischer Ebene den notwendigen Denkanstoß für einen gesellschaftlichen Diskurs liefert – durch die Darstellung einer Frau, die sich mit ihren „Digitalen Zwillingen“, den Personifizierungen ihrer virtuellen Alter Egos, konfrontiert sieht, die sie sich selbst erkennen und auch hinterfragen lassen.

Ein cross-mediales Opernprojekt

Ins Leben gerufen wurde das cross-mediale Opernprojekt vom Regisseur und Medienkünstler Sven Sören Beyer. Gemeinsam mit dem Berliner Künstlerkollektiv phase7 performing.arts widmet er sich seit 1999 performativen Inszenierungen und Installationen, in denen er anhand neuester Innovationen das Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine auslotet. Für den kreativen Strang dieser zukunftsweisenden Oper holte er den Bühnen- und Kostümdesigner Pedro Richter, den Lichtdesigner Henning Schletter und die Schriftstellerin Christiane Neudecker mit an Bord, die bei der Entstehung des Librettos auch mit KI-Textgeneratoren experimentierte. Für die visuelle Verwirklichung stehen ihnen bei ‚chasing waterfalls‘ der preisgekrönte Video-Künstler und „engineer in the arts“ Frieder Weiss, sowie die Videokünstlerin ployz und das Berliner Design-Studio Eigengrau zur Seite. Vor allem das Video- und Bühnendesign sorgt für Staunen im Publikum, denn neben einem künstlichen und echten Wasserfall, einer acht Meter hohen kinetischen Lichtskulptur aus LED-Panels, die über der Bühne hängt und die KI personalisiert, wird zudem das Publikum eingeladen, auch selbst Teil der Szenografie zu werden. Dafür werden die Gesichter freiwilliger Besucher*innen vor jeder Aufführung mittels 3D-Face-Scan aufgenommen, anschließend mithilfe einer KI verändert und in das Bühnenbild integriert.

KI als Autorin, Komponistin und Sängerin

Auf der auditiven Ebene geht es nicht weniger innovativ einher: Hier arbeitete phase7 mit dem Berliner Studio for Sonic Experiences kling klang klong unter technischer Unterstützung von T-Systems MMS zusammen, um eine KI erstmalig auf einer Bühne in englischer Sprache performen zu lassen.

Opernbesucher*innen erleben eine computergenerierte Gesangspartie, die vorab mit der norwegischen Sopranistin Eir Inderhaug digital eingespeist wurde. Während jeder einzelnen Aufführung ergänzt die KI autark und individuell Libretto und Komposition und kreiert eigene Gesangspartien.

Neben all der elektro-akustischen Komposition und dem Sound Design von kling klang klong kommen auch die klassischen Opernelemente nicht zu kurz. Als Co-Komponist und Dirigent wurde der Künstler Angus Lee aus Hongkong, der sich mit seinen knapp 30 Jahren bereits als Komponist, Dirigent und Flötist international einen Namen gemacht hat, ins Team geholt. An seiner Seite: sechs Sänger*innen und neun Instrumentalist*innen, die das 70-minütige Opernstück musikalisch tragen. Für die Dramaturgie zeichnet Johann Casimir Eule, Chefdramaturg und stellvertretender Intendant der Semperoper, verantwortlich.
 
Die Uraufführung von chasing waterfalls fand am 3. September 2022 in der Semperoper Dresden statt, weitere Vorstellungen waren am 8. und 11. September 2022.
 
Im November folgen Aufführungen bei dem New Vision Arts Festivals in Hongkong. Weitere Informationen werden sukzessive veröffentlicht auf https://www.nvaf.gov.hk
 
chasing waterfalls ist eine Koproduktion des Künstlerkollektivs phase7 performing.arts Berlin mit der Semperoper Dresden und dem Hong Kong New Vision Arts Festival. Projektpartner ist T-Systems MMS. Mit freundlicher Unterstützung der Sächsischen Semperoper Stiftung.
 

Ein Beitrag von:
Natascha Wesiak
p h a s e 7 performing.arts GmbH

Berlin

Projektmanagerin