„Eliza – Uncanny Love” – Eine Theaterproduktion von MEINHARDT&KRAUSS

13. Dezember 2019 | Dr. Dr. Albrecht Fritzsche

Spiel: Ludger Lamers, Robotik: Nils Bennett, Michael Krauss, Technik/Video: Nadja Weber, Musik: Anna Illenberger, Regie: Iris Meinhardt

Eliza. Das Computerprogramm, mit dem Joseph Weizenbaum einfachste Formen der Gesprächsführung implementierte, um dann entsetzt festzustellen, dass dem Programm von seinen Nutzer*innen Intelligenz, ja sogar eine Persönlichkeit zugeschrieben wurde, die sie veranlasste, Vertrauen und weitere emotionale Bindungen zu ihm aufzubauen.

Eliza. Das Blumenmädchen, das Henry Higgins in George Bernhard Shaws Bühnenstück zum Objekt seiner wissenschaftlichen Ambitionen machte, um sich dann in das eigene Werk zu verlieben, ohne dem Menschen, an dem er es verwirklichte, viel Aufmerksamkeit zu schenken.

Dahinter die Geschichte des Pygmalion und seiner Statue. Die Liebe zur eigenen Schöpfung, dem idealisierten Abbild von Wünschen und Träumen, welches sich gerade dadurch auszeichnet, kein ganzer Mensch zu sein, sondern alles das ausblendet, das den eigenen Erwartungen nicht entspricht.

Man hat das Gefühl, diesen Stoff schon in Tausenden unterschiedlicher Bearbeitungen auf der Bühne gesehen zu haben. Nun wagen sich auch Meinhardt und Krauss daran, was aufgrund ihrer vorherigen Arbeiten, von „Intimitäten“, „Doll-y“, „Sich Beine machen“ und „Prolog“ bis hin zu „Die zweite Realität“, nur folgerichtig erscheint. Die Auseinandersetzung mit dem Schöpfungsakt und der Idealisierung der Wahrnehmung zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk der beiden Theaterschaffenden und ihren wechselnden Teams. Schon in ihrem letzten Stück, „Robot Dreams“, wurden dabei elektromechanische Gliedmaßen als Ausdrucksmittel verwendet, was sich im jetzigen Stück fortsetzt. So kann man in „Eliza“ der Entstehung eines Roboterwesens zusehen, das aus verschiedenen motorisierten Körperteilen zusammengefügt wird. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass sich der Sinngehalt des Stücks in der Auseinandersetzung mit diesem Gestaltungsvorgang erschöpft. Wie so oft gibt es bei Meinhardt und Krauss noch viele andere Bedeutungsebenen, die ebenfalls beachtet werden müssen – und genau dadurch wird dem alten Stoff frisches Leben eingehaucht.

Pygmalion wird in „Eliza“ nicht einfach nacherzählt. Vielmehr wird diese Nacherzählung selbst inszeniert. In antiker Manier steht die Erzählerin selbst auf der Bühne und besingt virtuos und eindrücklich die Geschichte anhand der Verse Ovids. So, wie sie mit ihren Mischpulten und Steuergeräten hantiert, könnte sie dabei auch in einem Club, einer Diskothek, stehen, einem dieser neuartigen Musentempel artifizieller Realität, deren Rolle als Wegbereiter einer digitalisierten Gesellschaft nur selten gewürdigt wird. Auf der Bühne inszeniert sich in stilisierter Form eine Tanzveranstaltung für die Massen, und so bekommt man in diesem Stück auch einen Tanz zu sehen, in dem der menschliche Körper in Reduktion auf seine physischen Funktionen zum goldenen Kalb wird.

Pygmalion, der passend zu den Leistungen fernöstlicher Robotik in einem japanischen Gewand auftritt, beginnt seinen Schöpfungsakt mit einer weißen Masse, die er aber nicht einfach so zu einem Objekt formt, sondern sie sich selbst auf den Kopf klatscht und nach dessen Konturen gestaltet. Zwischenzeitlich erinnert das Objekt an eine venezianische Karnevalsmaske. Man könnte von einem Vorboten moderner Vergnügungsveranstaltungen sprechen, und zugleich einem Bezugspunkt zur Massenunterhaltung, in deren Tradition auch das Figurentheater steht, in dem Meinhard und Krauss verwurzelt sind. Wie in Kleists Essay über das Marionettentheater wird der Tanz mit dem künstlichen Wesen mit der Entäußerung des eigenen Körpers in Zusammenhang gebracht. Für die Glieder seines Roboters nimmt Pygmalion Maß an sich selbst, schafft sich eine Gefährtin von seinem eigenen Fleisch, wobei ausgerechnet der Torso, einschließlich der sprichwörtlichen Rippe, ausgelassen wird.

Lang bevor die einzelnen Körperteile zueinander finden, beginnt Pygmalion schon, sie sinnlich zu erleben. Wohl proportionierte Beine, eine liebkosende Hand, einladende Bewegungen eines Arms. Das Idealbild braucht noch nicht einmal erreicht zu werden; allein die Tatsache, es anzustreben, ist erregend genug. Wie bei Weizenbaums Eliza mag es genau die verbleibende Lücke zu sein, die Abwesenheit jeder Vollendung, die es möglich macht, Intimität auszuleben. So ergeben sich auch die erotischsten Momente des Stücks aus dem wunderbaren Spiel des Darstellers mit dem Nichts, der leeren Stelle zwischen den Beinen und dem nicht verfügbaren Torso. In seinem Gewand ist es wiederum gerade nur der Torso, den man von Pygmalion zu sehen bekommt, und was er in Ermangelung eines figurativen Gegenübers an diesen Torso drückt, ist ein Laptop, von dem die Figur gesteuert wird, bis das schließlich nicht mehr notwendig ist, weil sie selbst die Kontrolle übernimmt.

In der tänzerischen Umarmung deutet es sich bereits an. Mag Pygmalion auch führen, so lässt er sich gleichzeitig fallen in der Paarung mit dem Wesen, das er geschaffen hat. Als es aber soweit ist, dass das Wesen die Augen öffnet, als es ihn anzuschauen beginnt, entsteht schon die Distanz, die das Ende der Beziehung einleiten wird. „Uncanny Love“ ist der Untertitel des Stücks, angeregt durch eben diese Erfahrung aus dem Umgang mit Figuren: es gibt einen Grad an Perfektion, ab dem die Figur nicht mehr anziehend wirkt, sondern abstößt, weil sie zu ähnlich ist, um noch Raum für Projektion zu bieten. Das mag der Punkt sein, an dem sich heraus stellt, dass sogar die eigenen Ideale, wenn sie denn Realität werden, nicht vollkommen sind, dass sie unrein werden, wenn sie sich tatsächlich zu bewähren haben und daran scheitern. Dieser letzten Kränkung, die über das Zugeben der eigenen Unzulänglichkeit hinausgeht, weil sie auch die Erwartung von Zulänglichkeit enttäuscht, will sich der Mensch nicht stellen. Hier weicht das Stück von der überlieferten Geschichte Pygmalions ab und gibt die Erfahrung des modernen Menschen mit der Technik wieder. Es bleiben nur zwei Puppen, Pygmalion und Eliza, die nebeneinander bereitstehen und warten, dass sie bespielt werden.

(Spoiler Alert:) So ist es nur folgerichtig, wenn Pygmalion sein Objekt der Begierde am Ende wieder zerlegt, um die Körperteile auf dem Boden anzuordnen, wie man es mit Teilen eines Bausatzes tut, um zu sehen, wie sie zusammengehören, bevor sie zusammengefügt werden. Das allein bleibt Pygmalion. Nur so ist der Anspruch an Vollkommenheit aufrecht zu erhalten, als Projekt, das niemals endet.

Nein, das ist kein Stück, das sich nur mit Künstlicher Intelligenz und Robotik auseinander setzt. Vielmehr dienen diese Themen, um sich durch die Beschäftigung mit ihnen dem Menschen zu widmen, seinem Umgang mit den Erwartungen an Wissenschaft und Technik, seiner Begeisterung für das Artifizielle, seinen ästhetischen Filterblasen, in denen er nur das wahrnimmt, was zu seinen Idealen passt, und seiner geringen Fähigkeit, sich für echte Erfahrungen zu öffnen und das, dem er sich gegenüber sieht, um seiner selbst willen anzunehmen.   

Autor des Beitrags:
Dr. Dr. Albrecht Fritzsche