Perspektiven einer Künstlerin – Der Begriff der Intelligenz | Teil 2

14. August 2020 | Carina Lüschen

Seit 1,5 Jahren umreißen wir in unserem LINK-Blog das Thema der Künstlichen Intelligenz in Gesellschaft und Kultur. Es ist an der Zeit ein paar grundlegende Aspekte zur Definition auch aus Perspektive einer Künstlerin zu beleuchten. Carina Lüschen reflektiert die gesellschaftlichen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und neuen Technologien. Im Fokus steht das Zusammenspiel und die Transformation des Bewusstseins, der Physis und virtuellen Strukturen, insbesondere durch das Internet.

Der Begriff der Intelligenz

Intelligenz ist die „Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten” (Duden).

Intelligenz wird im Kontext von KI überwiegend durch die Fähigkeit, Wahrheit zu erfassen, definiert. Dadurch leitet sich das, was eine Kultur unter Intelligenz versteht, insbesondere aus der Beschaffenheit ihrer wichtigen Kommunikationsformen und aus dem Homo-Mensura-Satz her.

Demnach ist KI „the theory and development of computer systems able to perform tasks normally requiring human intelligence, such as visual perception, speech recognition, decision-making, and translation between languages.” (Oxford Dictionary)

Intelligenz bedeutet, dass man in der Sphäre der Begriffe und Verallgemeinerungen auch ohne Bilder auskommt. Der Buchdruck brachte eine Definition von Intelligenz hervor, die dem objektiven, rationalen Gebrauch des Verstandes Vorrang gab. Für den Telegraphen bedeutete Intelligenz, von vielen gehört zu haben, und nicht, es zu verstehen. KI und Technik als Ideologie „drängt“ uns ebenso eine ganz bestimmte Lebensweise und ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen Menschen und Ideen auf.

Intelligenz ist relevant als die Fähigkeit, zu abstrahieren: „A vital component in our approach is the ‘level of abstraction’ (LoA) at which an agent is considered to act. The LoA is determined by the way in which one chooses to describe, analyse and discuss a system and its context. LoA is formalised in the concept of ‘interface’, which consists of a set of features, the observables. Agenthood, and in particular moral agenthood, depends on a LoA. Our guidelines for agenthood are: interactivity (response to stimulus by change of state), autonomy (ability to change state without stimulus) and adaptability (ability to change the ‘transition rules’ by which state is changed) at a given LoA.”[1]

Der Maßstab von Intelligenz nach Turing ist das Kommunikationsspiel: „(...)The example of intelligence or ‘thinking’ behaviour is enlightening. One might define ‘intelligence’ in a myriad of ways; many LoA are all equally convincing and no single, absolute, definition is adequate in every context. Turing solved the problem of ‘defining’ intelligence by first fixing a LoA — in this case a dialogue conducted by computer interface — and then establishing the necessary and sufficient conditions for a computing system to count as intelligent at that LoA: the communication game. The LoA is crucial and changing it invalidates the test, as John Searle[2] was able to show by adopting a new LoA represented by the Chinese room game.” [3]

Der Begriff der Intelligenz in Bezug auf mentale Prozesse und Intentionalität beschreibt Intelligenz als ein Konstrukt aus mentalen Repräsentationen, das abhängig von unserer Wahrnehmungserfahrung wirksam wird:

„Your whole argument presupposes that AI is only about analogue and digital computers. But that just happens to be the present state of technology. Whatever these causal processes are that you say are essential for intentionality (assuming you are right), eventually we will be able to build devices that have these causal processes, and that will be artificial intelligence. So your arguments are in no way directed at the ability of artificial intelligence to produce and explain cognition. (...) AI by redefining it as whatever artificially produces and explains cognition. The interest of the original claim made on behalf of artificial intelligence is that it was a precise, well defined thesis: mental processes are computational processes over formally defined elements. I have been concerned to challenge that thesis. If the claim is redefined so that it is no longer that thesis, my objections no longer apply because there is no longer a testable hypothesis for them to apply to.“[4]

KI fordert uns auf, zu definieren was Intelligenz ist und wie sie gemessen werden soll, welche Maßstäbe gelten, und wie sie angewendet werden sollen. KI beschreibt in diesem Sinne nicht die Gesamtheit der Intelligenz eines Menschen (als totale Masse), sondern ist eine Disziplin. Die Vergleichs-Logik von Mensch und Maschine ist im aktuellen Diskurs stark von dualistischen Stand- punkten geprägt.

Alle Arten von Prothesen, als maschinelle Komponenten menschlicher Körper können dazu beitragen, dem Menschen Lust zu verschaffen, aber er kann keine erfinden, die an seiner Stelle Lust empfinden. Für die technische Übertragung von Lust müssten die Maschinen eine Idee vom Menschen haben, sie müssten den Menschen erfinden können, jedoch ist die umgekehrte Tatsache der Fall. Der Mensch hat die Maschine erfunden, die vielleicht statistische Auswirkungen von als Lust beschriebenen Mustern in einem spezifischen Umfeld erkennen oder simulieren könnte. Was sie nicht kennt, ist das menschliche Hinausgehen über das Sein, die ironische Überwirkung, den Überschuss an Funktionalität, worin gerade die Lust oder das Leiden besteht und wodurch sich die Menschen ihrem Schicksal nähern.

Intelligenz ohne Verstand

Intelligenz ist definiert durch die Dynamik der Interaktion mit der Welt und liegt im Auge des Betrachters im Sinne des Homo-Mensura-Satzes. Es geht in erster Linie nicht um die Form, sondern um die notwendigen Bedingungen der dynamischen Interaktion mit der Welt. In diesem Sinne könnte Intelligenz ebenso als die Disziplin des Verstehens eines anderen menschlichen Verhaltens verstanden werden, als eine Definition der Intelligenz per se. (Intelligence without reason, Definition nach Brooks)

 

[1] On the morality of artificial agents, Luciano Floridi and J. W. Sanders, University of Oxford: http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.16.722&rep=rep1&type=pdf

[2] Markus Rüther: Searle, John. Information Philosoophie: http://www.information-philosophie.de/?a=1&t=4858&n=2&y=1&c=4

[3] On the morality of artificial agents, Luciano Floridi and J. W. Sanders, University of Oxford: http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.16.722&rep=rep1&type=pdf

[4] Bailey, Andrew; Martin, Robert M.. First Philosophy – Fundamental Problems and Readings in Philosophy. Volume III. God, Mind, and Freedom. Toronto 2011

Ein Beitrag von:
Carina Lüschen

Zu Carina Lüschen:

Carina Lüschen kommt aus der Musikwirtschaft bzw. Untergrund-Kultur und der akademischen Lehre. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf internationaler Kulturentwicklung im Bereich Bildende Kunst und Musik. Die unterschiedlichen internationalen Interpretationen von spezifischen Musikstilen wachsen so zu einer globalen Pop- und Mainstream-Kultur, was dieses Phänomen für die Forschung interessant macht, wenn es zum Beispiel um Auswirkungen von Internet-Phänomenen und Gruppenbildung geht. Sie schreibt momentan ihre Dissertation über gesellschaftliche Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und neuen Technologien aus der Perspektive der Kunstwissenschaft. Carina Lue ist in der öffentlichen Lehre tätig und arbeitet in der freien Musikwirtschaft. Hier setzt sie virtuelle internationale Club-Konzepte auf lokaler Ebene als Veranstaltungen um und verbindet experimentell Clubkultur mit bildender Kunst. Das Club-Projekt „Chains Club“ hatte ein Jahr lang einen festen Standort auf der Reeperbahn in Hamburg. Aufgrund der aktuellen politischen Situation ist nun ein virtuelles Theater-Projekt in Planung.