Perspektiven einer Künstlerin – Künstliche Intelligenz als „mechanisches Gehirn” | Teil 3
28. August 2020 | Carina Lüschen
Seit 1,5 Jahren umreißen wir in unserem LINK-Blog das Thema der Künstlichen Intelligenz in Gesellschaft und Kultur. Es ist an der Zeit ein paar grundlegende Aspekte zur Definition auch aus Perspektive einer Künstlerin zu beleuchten. Carina Lüschen reflektiert die gesellschaftlichen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und neuen Technologien. Im Fokus steht das Zusammenspiel und die Transformation des Bewusstseins, der Physis und virtuellen Strukturen, insbesondere durch das Internet.
Künstliche Intelligenz als „mechanisches Gehirn”
Die ersten Systeme, die den Namen „Autopilot“ erhielten, wurden für die Schifffahrt entwickelt, bevor sie ihren Weg in Flugzeuge fanden. Dies begann mit der Erfindung des Kreiselkompasses durch Hermann Anschütz-Kaempfe (im Jahr 1904) und Elmer Sperry (im Jahr 1908). Diese technische Errungenschaft erlaubte es, eine verlässliche Referenz des Kurses zu erhalten. Dies war zuvor auf Schiffen, die aus Stahl gebaut wurden, aufgrund der magnetischen Eigenschaften von Ferrit mithilfe eines Kompasses schwierig. Diese Kreiselkompasse wurden schnell von der Marine übernommen. Elmer Sperry entwickelte darauffolgend das erste kreiselkompass-gesteuerte automatische Steuerungssystem, welches sich schnell in der Schifffahrtsbranche durchsetzte. Jedoch war Sperrys Autopilot „eine massive Einheit, welche sich nur praktikabel in der Schifffahrt anwenden ließ, [...] aber setze sich schnell als Standard auf Neubauten von Schiffen durch“. Elmer Sperrys Sohn Lawrence brachte die Erfindung seines Vaters schließlich ins Flugzeug. Am 18. Juni 1914 demonstrierte er in Frankreich das erste System, welches eine Curtiss C-2 ohne Einwirken eines Piloten im Horizontalflug stabil halten und stabilisieren konnte. Dieser frühe Autopilot war schon damals in der Lage, Landungen ohne Einwirkung des Piloten durchzuführen.[1]
KONTROLLE DURCH KI
Als „mechanisches Gehirn” in der Luftfahrttechnik spielt die Entwicklung von KI in einem Kontroll-Kontext als Autopilot eine tragende Rolle. Hier bezieht sich die Geschichte auf die Disziplin „intelligent control“. Durch die Simulation von einem automatisierten, kommunikativen „Gehirn” als Kontrollnetzwerk sollte diese einzelne Komponente in jedem Netzwerk intelligent navigieren. (vgl. 31.10.1947 Bundesarchiv, Welt im Film. Neufundland: Überquerung des Atlantiks mit führerlosem Flugzeug und „mechanischem Gehirn“. Besatzung steigt zur Kontrolle des Fluges in Flugzeug. Fernlenkapparatur. Das Flugzeug bei Start und Flug. Selbsttätig arbeitende Instrumente. Landung in England, www.filmothek.bundesarchiv.de/video, Start 12:10:00)
Das „Intelligent flight control design” mit dem Ziel „find control Structures” macht KI zu einem „decision-making tool” und hat die Entwicklung von KI maßgeblich beeinflusst: Der Gedanke bei der Erschaffung von KI war demnach maßgeblich beeinflusst von der Idee eines „intelligenten Kontrollsystems”, welches kontrollierbare Strukturen finden kann, um diese dann zu beeinflussen, damit ein übergeordnetes Ziel erreicht werden kann.
KI ALS PROBLEMLÖSUNGSVERFAHREN, UM EIN ZIEL ZU ERREICHEN
Seit 1954 erforschte Herbert A. Simon Computersimulationen und entwickelte 1956 mit Allen Newell den Logical Theorist. Dieses Programm war erstmals dazu in der Lage, eine Menge von logischen Theoremen zu beweisen. Konkret führte der Logical Theorist den Beweis von 38 Theoremen aus den Principia Mathematica von Bertrand Russell und Alfred North Whitehead. Dieses Ergebnis war ein Meilenstein der Künstlichen Intelligenz, da gezeigt wurde, dass Programme zu Aktionen fähig sind, für die ein Mensch Intelligenz braucht. Ein weiterer wichtiger Schritt hin zum maschinellen Problemlösen war die ebenfalls mit Newell entwickelte Software General Problem Solver (allgemeiner Problemlöser). [1]
GOOGLE MAPS UND INDUSTRIE 4.0
Modus betrifft in erster Linie organisatorische, logistische, abbildende und raumbildende Thematiken. Die Idee der „totalen” Organisation und Kontrolle von Dingen durch ein Netzwerk bezieht sich heute beispielsweise auf Navigationssysteme wie Google Maps oder das „Internet der Dinge” bzw. die „Industrie 4.0”, was ein umfassendes Kommunikations- und Navigationsnetzwerk aus „autonomen Dingen” beschreibt, die untereinander in einem geschlossenem System kommunizieren:
„Industrie 4.0 ist die Bezeichnung für ein Zukunftsprojekt zur umfassenden Digitalisierung der industriellen Produktion, um sie für die Zukunft besser zu rüsten. Der Begriff geht zurück auf die Forschungsunion der deutschen Bundesregierung und ein gleichnamiges Projekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung; zudem bezeichnet er eine Forschungsplattform. Technische Grundlage hierfür sind intelligente und digital vernetzte Systeme. Mit ihrer Hilfe soll weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich werden: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander. Durch die Vernetzung soll es möglich werden, nicht mehr nur einen Produktionsschritt, sondern eine ganze Wertschöpfungskette zu optimieren. Das Netz soll zudem alle Phasen des Lebenszyklus des Produktes einschließen – von der Idee eines Produkts über die Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis zum Recycling.“[1]
Zu Carina Lüschen:
Carina Lüschen kommt aus der Musikwirtschaft bzw. Untergrund-Kultur und der akademischen Lehre. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf internationaler Kulturentwicklung im Bereich Bildende Kunst und Musik. Die unterschiedlichen internationalen Interpretationen von spezifischen Musikstilen wachsen so zu einer globalen Pop- und Mainstream-Kultur, was dieses Phänomen für die Forschung interessant macht, wenn es zum Beispiel um Auswirkungen von Internet-Phänomenen und Gruppenbildung geht. Sie schreibt momentan ihre Dissertation über gesellschaftliche Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und neuen Technologien aus der Perspektive der Kunstwissenschaft. Carina Lue ist in der öffentlichen Lehre tätig und arbeitet in der freien Musikwirtschaft. Hier setzt sie virtuelle internationale Club-Konzepte auf lokaler Ebene als Veranstaltungen um und verbindet experimentell Clubkultur mit bildender Kunst. Das Club-Projekt „Chains Club“ hatte ein Jahr lang einen festen Standort auf der Reeperbahn in Hamburg. Aufgrund der aktuellen politischen Situation ist nun ein virtuelles Theater-Projekt in Planung.