Carsten Bethmann – Absolvent der KI-Schule
11. März 2021 | Interview
Der Musiker Carsten Bethmann aus Hannover hat in der KI-Schule nach neuen Klängen gesucht. Von seinem spannenden Projekt berichtet er im Interview.
Stelle Dich bitte kurz vor.
Mein Name ist Carsten Bethmann. Ich lebe in Hannover und arbeite als freiberuflicher Musiker.
Welche Vorkenntnisse und Erwartungen hattest Du an die KI Schule?
Meine Vorkenntnisse beschränkten sich auf die Teilnahme an der LINK-Tagung der Stiftung Niedersachsen. Da KI ein gesellschaftlich relevantes Thema ist und ich gleichzeitig immer auf der Suche nach neuen künstlerischen Herausforderungen bin, war meine Neugierde geweckt. Als Musiker interessiert mich, ob sich durch das Nutzen von KI musikalische Ergebnisse erzielen ließen, die man auf anderem Weg nicht erreichen würde.
Und ich wollte genauer kennen lernen, wie sich KI auf den Bereich der Kultur auswirkt. Was ist möglich? Was nicht?
Was waren Deine Erfahrungen in der KI-Schule? Was hat sich von Deinen Vorstellun-gen über KI bestätigt und was wurde widerlegt? Welchen Herausforderungen bist Du im Laufe der KI Schule begegnet?
Am Anfang prasselte sehr viel Neues auf mich ein. Aber im Laufe der Zeit wurde ich mit der Materie deutlich vertrauter. Sehr gut fand ich, dass unsere Dozenten auch die Ambivalenzen von KI aufgezeigt haben. Eine grundlegend andere Sicht auf KI hat sich durch die Schule für mich nicht ergeben. Ich sehe in ihr ein hochkomplexes Werkzeug, das letztendlich Wahrscheinlichkeiten ausrechnet.
Herausforderungen waren sicherlich, dass die Rechnerleistung oft nicht ausreichte und es beim Trainieren zu Abstürzen kam. Auch das Arbeiten mit „Colab“ war für mich oft etwas seltsam. Und schließlich war mir auch immer klar, dass ich für die technische Umsetzung meiner Ideen die Hilfe unserer Dozenten brauchte.
Carsten Bethmann im Videointerview
Stelle bitte Dein Projekt kurz vor.
Bei meinem Projekt „Künstliche Klänge – Intelligente Klänge?“ sollten mit Hilfe Neuronaler Netzwerke neue Klänge generiert werden. Hierfür wurden die Audiodaten zuerst in Spektren verwandelt, die mit in der KI-Schule erlernten Bildbearbeitungstechniken bearbeitet wurden und anschließend in Audiodaten zurückverwandelt wurden. Anschließend wurden die so entstandenen Klänge in zwei Kompositionen verwendet.
”Spannender fand ich es, die Tiefen eines neuronalen Netzwerks zu nutzen, um ihm künstlerische Möglichkeiten zu entlocken, die vielleicht nicht dem ursprünglichen Sinn der KI entsprechen.
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Was ist die Motivation hinter Deiner Idee? Warum interessiert Dich dieser Bereich/dieses Thema/diese Anwendung?
Im Bereich der Musik interessiert es mich eher weniger, die KI den nächsten Ton oder die nächsten Töne einer Bach-Komposition ausrechnen zu lassen. Hier finde ich den technischen Aspekt spannend, aber künstlerisch sehe ich es eher als belanglos an. Spannender fand ich es, die Tiefen eines neuronalen Netzwerks zu nutzen, um ihm künstlerische Möglichkeiten zu entlocken, die vielleicht nicht dem ursprünglichen Sinn der KI entsprechen. So wie Künstler*innen ja häufig Dinge und Materialien etwas zweckentfremden.
Mein Hauptthema dabei war die Klangerforschung. In diesem Bereich habe ich mit anderen Mitteln bereits häufig gearbeitet (FM-Synthese, unkonventioneller Einsatz digitaler Effektgeräte).
Beschreib bitte die einzelnen Umsetzungsphasen Deines Projektes. Was ist Dein Fazit?
In der ersten Phase wurde versucht, die Audiodaten in Spektren und diese wieder zurück in Audiodaten zu verwandeln. Im Unterschied zur Bearbeitung eines „normalen“ Bildes kam bei der Bearbeitung von Spektren, also der bildlichen Darstellung von Musik, der Faktor Zeit hinzu. Befriedigende Ergebnisse lieferte schließlich das Melspectogramm, wenn auch nur in mono.
Der Datensatz bestand aus ca. 3.240 Samples von einer Sekunde, gewonnen aus 18 dreiminütigen Musikstücken unterschiedlichster Art. Mit diesem wurden mit Hilfe eines Autoencoders 500 Epochen trainiert.
Anschließend wurden jeweils zwei Klänge „gemorpht“. Das hieraus gewonnene Audiomaterial wurde in zwei Kompositionen verwendet.
Nach der Überwindung einiger Schwierigkeiten kamen durchaus interessante Ergebnisse heraus. Ich verfüge jetzt über ein neues Tool, das ich auch in Zukunft auf andere Audiodaten anwenden kann und das Klänge liefert, die ich auf anderem Weg so nicht erzeugen kann. Und es lohnt sich sicherlich hier noch weiter zu forschen!
Was ist/war vor der KI-Schule Kunst für Dich? Hat es sich verändert? Kann eine Maschine/ein Algorithmus „echte” Kunst erschaffen?
Meine Sicht auf Kunst hat sich letztendlich nicht verändert. Es gibt ja endlose Versuche zu definieren, was Kunst ausmacht. Für mich persönlich ist entscheidend, dass Kunst aus ihrer Zeit entsteht, ihre Zeit reflektiert und auch eine sehr persönliche Sicht auf diese Zeit darstellt. Sie braucht aus meiner Sicht auch einen (oder mehrere) „Autor*in(nen)“. Dabei gibt es endlos viele Möglichkeiten. Ich meine damit nicht das „autonome Genie“. Das ist für mich ein antiquiertes Künstler*innenbild. Aber ganz ohne eine individuelle Sicht geht es für mich auch nicht. Die viel diskutierten „Bach-Choräle“ oder „Rembrandt-Bilder“ einer KI sind für mich daher keine „echte“ Kunst. Also würde ich die dritte Frage eher mit „Nein“ beantworten.
Welche Spannungsfelder und Potenziale siehst Du im Bereich Kunst/Kultur mit künstlicher Intelligenz? Wie kann KI menschliche Kreativität erweitern/stärken?
Sicherlich werden sich Berufe im künstlerischen Umfeld durch KI stark verändern, z. B. der Beruf des*der Übersetzer*in (zumindest von Sachbüchern). Auch im Bereich der Musik ist es meines Wissens schon jetzt möglich, konventionellere Formen von (Pop-)Musik von einer KI herstellen zu lassen. Im Bereich der Werbung bräuchte man sich dann z. B. nicht mehr um Urheberrechte zu kümmern.
Bestimmte Bereiche werden aber, glaube ich, sich nicht so leicht ersetzen lassen. In der Musik gab es ähnliche Diskussionen schon in den 80er Jahren: Ersetzt der Drumcomputer den*die menschliche Schlagzeuger*in? Trotz in diesem Bereich sehr fortgeschrittener Technik, sind gute Schlagzeuger*innen auch heute noch sehr gefragt und nach wie vor doch nicht so leicht zu ersetzen. Daher plädiere ich da für eine gewisse Gelassenheit.
Aus meiner Sicht ist KI ein weiteres hoch entwickeltes Werkzeug, das bei kreativer Verwendung zu interessanten Ergebnissen führt.
Weiterhin halte ich eine kritische künstlerische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die KI bewirkt, für wichtig und erforderlich. Wir haben ja gelernt, dass die Größe und Qualität des Datensatzes von entscheidender Bedeutung ist. Hier sehe ich die Konzentration solcher Datensätze in den Händen einiger Tech-Konzerne (Google, Facebook) und die damit verbundene (nicht nur wirtschaftliche) Macht durchaus als Problem an, an dem sich Kunst abarbeiten muss.