Jascha Fendel – Absolvent der KI-Schule

23. Oktober 2020 | Interview

Stelle Dich bitte kurz vor.

Jascha Fendel, wohnt in Göttingen und ist seit der Spielzeit 2018/19 am Deutschen Theater Göttingen als Dramaturg tätig.

Welche Vorkenntnisse und Erwartungen hattest Du an die KI Schule?

Porträt Jascha Fendel | © Privat

Ich hatte keinerlei konkrete Vorkenntnisse, außer einer theoretischen Affinität zu allem Digitalen. Erwartet habe ich mir einen tieferen Einblick in die Funktionsweise und Einsatzgebiete von künstlicher Intelligenz. Ich wollte mir beantworten, wie KI tatsächlich funktioniert, welche Einsatzgebiete es gibt und was dabei Zukunftsperspektiven sind. Weiter wollte ich erste Schritte im eigenständigen Programmieren unternehmen und ein Verständnis für Programmiersprachen entwickeln.

Was waren Deine Erfahrungen in der KI-Schule? Was hat sich von Deinen Vorstellun-gen über KI bestätigt und was wurde widerlegt? Welchen Herausforderungen bist Du im Laufe der KI Schule begegnet?

Die KI-Schule hat es geschafft, die Teilnehmer*innen trotz unterschiedlicher Wissensstände kollektiv abzuholen, die Vorlesungen sind schnell zu komplexen Themen gekommen, die jedoch durch die intensive Betreuung der Dozierenden immer zu bewältigen waren. Ich hatte während der KI-Schule zwar einzelne Momente, die mich an meine Totalaussetzer im Matheunterricht der Oberstufe erinnerten, doch letztlich gab es irgendwann immer eine Lösung und Licht am Ende des Tunnels.

Stelle bitte Dein Projekt in zwei Sätzen vor.

Ich habe mich mit dem nachtrainieren einer GPT-2 beschäftigt, eine KI, die bestimmte Textarten generieren kann.  Ziel war es die KI so einzustellen, dass sie Texte in Dramenform generiert, die nach den Werken Shakespeares klingen.

Was ist die Motivation hinter Deiner Idee? Warum interessiert Dich dieser Bereich/dieses Thema/diese Anwendung?

Als Dramaturg am Theater beschäftige ich mich häufig mit Dramatik. In den vergangenen Jahren hörte ich zunehmend von KI-Projekten, die bekannte literarische Vorlagen, wie Harry Potter oder Das Lied von Eis und Feuer, fortschreiben wollten. Die Ergebnisse erschienen mir jedoch zunächst ungenügend.  Bei meinem eigenen Projekt wollte ich schließlich selbst herausfinden, wo die Qualitätsunterschiede von generierten zu nicht-generierten Texten zu finden sind. Die Fragen „Was kann eine KI und was (noch) nicht?” sowie „Sind bald alle neuen Theaterstücke von einer KI” standen dabei im Fokus.

Beschreib bitte die einzelnen Umsetzungsphasen Deines Projektes. Was ist Dein Fazit?

Mein Projekt basierte zunächst auf einer Vorlesung, in der das Generieren von Texten vermittelt wurde. Anschließend habe ich recherchiert, welche Projekte bereits existieren. Mit diesem Vorlauf konnte ich die Vorlesung und Rechercheergebnisse miteinander verknüpfen und entwickelte eine Vorstellung vom Coding-Prozess. Ich habe im Anschluss eine KI mit dem Gesamtwerk Shakespeares nachtrainiert, damit diese sich die spezifische Sprache aneignet. Schließlich konnte ich durch die Eingabe, das Triggern mit kurzen Sätzen, die KI veranlassen, größere Textblöcke in Dramenform zu generieren. Sprachlich ist die KI dabei sehr nah an das Original gekommen, inhaltlich gibt es jedoch viele Defizite. Sie ist nicht fähig, einen größeren Kontext in ihren Texten zu verarbeiten und fängt an zu „halluzinieren”, also inhaltlich unlogische Texte zu produzieren.

Kunst erschaffen? Es ist ja immer der Mensch, der das Experimentierfeld aufbaut, in dem sich die KI austobt.

Was ist/war vor der KI-Schule Kunst für Dich? Hat es sich verändert? Kann eine Maschine/ein Algorithmus „echte” Kunst erschaffen?

Im wesentlich war ich in meiner Kunstauffassung auch vor der KI-Schule davon überzeugt, dass Kunst eine intermediale Schöpfung sein kann, die auf einen Menschen zurückzuführen ist. Diese Haltung wurde durch die KI-Schule bestätigt, denn die Projekte, die entstanden sind, haben im Ursprung immer eine*n Künstler*in, der/die für die Konzeption verantwortlich ist. Im konkreten Fall der Textgenerierung kann man zudem noch behaupten, dass die entstandenen Dramentexte nicht als alleinstehendes Kunstwerk betrachtet werden können. Die Textqualität genügt literarischen Maßstäben schlicht nicht. Sie ist höchstens dazu geeignet, um mit einer kuratierenden Person ein Kunstwerk herzustellen.

Kunst erschaffen? Es ist ja immer der Mensch, der das Experimentierfeld aufbaut, in dem sich die KI austobt. Insofern ist es nicht der Algorithmus selbst, der aktiv wird und der Kunst erschafft, sondern ein*e Künstler*in oder Wissenschaftler*in, der*die den Algorithmus in einer bestimmten Absicht oder Erwartung anwendet. Wie in jedem bildererzeugenden Verfahren gibt es einen spezifischen kreativen Prozess, das ist hier genauso, als ob ein*e Maler*in Pinsel und Farbe einsetzt oder jemand eine Videoinstallation aufbaut. Jede Kunstform hat ihre spezielle Technologie und ihren spezifischen Ablauf. Bei KI sehe ich die Innovation vor allem in dem dialogischen Prozess, also, der*die Künstler*in gibt einen Rahmen vor, die KI agiert darin, der*die Künstler*in modifiziert das Setting in eine bestimmte Richtung, die KI agiert wieder etc. Also eine Art Wechselspiel, bei der die KI eine gewisse Autonomie hat. Darin sehe ich etwas Neues. Und auch die Zusammenarbeit von Kulturschaffenden mit Wissenschaftler*innen, Neurowissenschaftler*innen, Mathematiker*innen, die die Technik der neuronalen Netze überhaupt erst zur Verfügung stellen, ist etwas Neues und Spezifisches für KI-Kunst.
Insofern: klar kann daraus Kunst, auch „echte“ Kunst, entstehen.

Welche Spannungsfelder und Potenziale siehst Du im Bereich Kunst/Kultur mit künstlicher Intelligenz? Wie kann KI menschliche Kreativität erweitern/stärken?

Kunst hat sich schon immer die Medien ihrer Zeit angeeignet und sie zum Gegenstand gemacht. Nicht anders verhält es sich im Falle der KI. Mit ihr kann man Bilder malen, fiktive Personen erschaffen, Musik komponieren, die Zeit vor- und zurückspulen. Gleichzeitig lebt Kunst von ihren Leerstellen, Teilen des Werks, die der Assoziation und Interpretation des Rezipienten überlassen werden. Viele Algorithmen haben unter anderem auch durch eine Zweckentfremdung das Potenzial, diese Leerstellen hervorzubringen und eine faszinierende Wirkung zu entfalten.

Jascha Fendel
Deutsches Theater Göttingen