Yannick Tessenow – Absolvent der KI-Schule

11. Juni 2020 | Interview

Stelle Dich bitte kurz vor.

Yannick Tessenow | © privat

Moin. Ich bin Yannick Tessenow, 27 Jahre jung, und betätige mich in der Festivallandschaft, vornehmlich im Bereich Film und Experimentalkunst.

Welche Vorkenntnisse und Erwartungen hattest Du an die KI Schule?

Während meines Studiums hatte ich bereits Gelegenheit, in interdisziplinären Projekten zu arbeiten, welche mit Künstlicher Intelligenz und Kunst gearbeitet haben – es wurden etwa Programme zur Generierung von Kunst entwickelt. Ich war dabei jedoch mehr für die künstlerische Perspektive zuständig und fand somit keinen geeigneten Zugang in den Bereich des Programmierens. Die KI-Schule bietet mir nun die Möglichkeit, dies nachzuholen und mir Tätigkeitsfelder zu erschließen, in denen ich eigenständig an meine bisherigen Erfahrungen anknüpfen, mich weiter im Umgang mit KI üben und meinen Blick auf „Kunst“ ausbauen kann.

Was waren Deine Erfahrungen in der KI-Schule? Was hat sich von Deinen Vorstellun-gen über KI bestätigt und was wurde widerlegt? Welchen Herausforderungen bist Du im Laufe der KI Schule begegnet?

Die schönste Erfahrung während der KI-Schule war für mich das Verhältnis sowohl zwischen den Teilnehmenden, als auch zu den Tutoren: die gemeinsamen Treffen waren nicht durch ein starres Lehrer*innen-Schüler*innen-Verhältnis gekennzeichnet, sondern von einem gegenseitigen Interesse an einer gemeinsamen Thematik und Neugier auf Seiten von Kunst- und Kulturschaffenden als auch Ingenieur*innen und Wissenschaftler*innen. Zwischen allen Beteiligten entwickelte sich so ein freundschaftliches Verhältnis, welches auch nach der KI-Schule weiterhin Bestand hat und die Erfahrungen dieser Zeit um eine schöne Komponente ergänzt!

Durch die KI-Schule betrachte ich Künstliche Intelligenz nicht mehr als komplette „Black Box“. Die Arbeit mit verschiedenen Programmen half mir, KI als Komplex aus Zahlen und Wörtern greifbarer und handhabbarer zu machen und zeigte mir dabei eine gewisse „Einfachheit“ hinter den ansonsten komplexen Vorgängen auf. Aber gerade dieses neu entdeckte Verhältnis zwischen oberflächlicher Einfachheit und schlussendlicher Komplexität in ihren Vorgängen macht KI mit ihren Möglichkeiten und Potenzialen für mich gleichzeitig noch erstaunlicher!

Für mich persönlich bestand die größte Herausforderung darin, mich kontinuierlich in die Strukturen der Programme und die Programmiersprache selbst einzuarbeiten. Denn wie es der Begriff „Programmiersprache“ verrät, mussten wir uns eine neue Sprache aneignen, welche jedoch zusätzlich zu Buchstaben auch aus Zahlen und Formeln besteht. Um diese zu verinnerlichen, war für mich eine regelmäßige und konsequente Disziplin nötig, die auch erst einmal erlernt werden musste.

 

Stelle bitte Dein Projekt in zwei Sätzen vor.

In meinem Projekt arbeite ich mit einem sogenannten „Autoencoder“. Die KI lernt hierbei, ein Bild in ein sehr grundlegendes Muster zu zerlegen, aus welchem sie später das Original wieder möglichst genau rekonstruieren kann, quasi wie eine Eselsbrücke. Je mehr Bilder man dem Autoencoder gibt, desto mehr solcher Muster generiert er und bei zwei gleich großen Datensätzen kann es dann dazu kommen, dass unterschiedliche Bilder ähnliche Muster aufweisen, was wiederum zu interessanten Verlinkungen bzw. Verwechslungen zwischen den Datensätzen führen kann.

Was ist die Motivation hinter Deiner Idee? Warum interessiert Dich dieser Bereich/dieses Thema/diese Anwendung?

Der Prozess hinter dem Autoencoder interessierte mich von Anfang an! Für mich stellt es in gewisser Weise eine Form der „Interpretation“ seitens der KI dar. Damit wollte ich unbedingt arbeiten! Gleichzeitig erkannte ich in der Struktur des Autoencoders viele Spielräume zum Experimentieren mit unterschiedlichen Datensätzen. Dies wollte ich in meinem Projekt nutzbar machen, um menschlichen Profilbildern individuelle Kunstwerke zuzuordnen, welche laut der Muster des Autoencoders einander entsprechen.

Beschreib bitte die einzelnen Umsetzungsphasen Deines Projektes. Was ist Dein Fazit?

Zuerst musste ich Datensätze menschlicher Profilbilder und Kunstwerke finden, welche groß genug waren, um mittels des Autoencoders genügend Muster zu generieren, welche Ähnlichkeiten zueinander aufweisen würden. Für erstere fand ich öffentlich zugängliche Datenbanken, für die Kunstwerke fand ich ein Modell, mit dem ich diese selbst generieren konnte, um die Individualität der jeweils zugeordneten Kunstwerke noch stärker hervorzuheben.

Als Modell für meinen Autoencoder nutzte ich ein vorgefertigtes Modell, das ich entsprechend meinen Bedürfnissen anpasste. Anfänglich schrieb ich zwei ähnliche Modelle für beide Datensätze, welche ich anschließend miteinander verbinden wollte. Im Laufe meiner Arbeit erwies sich dies jedoch als unpraktisch, weswegen ich schlussendlich einen einzigen Autoencoder schrieb, der beide Datensätze gemeinsam verarbeitete, um für genügend nötige Überschneidungen zu sorgen. Für das „Training“ des Autoencoders musste ich dann nur noch auf „Play“ drücken und warten.

Am Ende konnte ich die Teile des Autoencoders, die für jeweils einen der beiden Datensätze zuständig war, beliebig miteinander verbinden und musste dann nur noch hoffen, dass sinnvolle Ergebnisse dabei herauskamen. In meinem Fall wurde ich hierbei jedoch überrascht. Nicht alle Ergebnisse entsprachen meinen ursprünglichen Vorstellungen. Trotz eines klaren Aufbaus des Autoencoders erwies sich dieser letztendlich immer noch als „Black Box“, der über meine Vorgaben hinaus abstrahierte und am Ende „neue“ Bilder erzeugte. Diese Ergebnisse stellen für mich eine große Einsicht und Bereicherung dar, zeigen sie doch die Unberechenbarkeit und „Kreativität“, die dem Programm innewohnen und mit deren Ergebnissen ich mich anschließend auseinandersetzen musste.

Was ist/war vor der KI-Schule Kunst für Dich? Hat es sich verändert? Kann eine Maschine/ein Algorithmus „echte” Kunst erschaffen?

Kunst zu definieren ist schwierig! Nach längerer Überlegung bedeutet „Kunst“ für mich persönlich etwas menschliches, was also mit einer bewussten (Aus-)Wahl und Entscheidung zu tun hat. Einem Gemälde liegt beispielsweise eine gewisse Idee zugrunde, die sich in einer Komposition aus ausgewählten Farben verwirklicht. Eine Fotografie zeigt ein Motiv, das man im Vorhinein ausgewählt hat. Im Gegensatz dazu gibt es für mich in der unberührten Natur keine „Kunst“, da solche Prozesse hier nicht in jenem Maße stattfinden. Nichtsdestotrotz kann ein Sonnenuntergang, der Gesang der Vögel oder das zufällige Zusammenspiel beider Motive „schön“ und „ästhetisch“ sein.

Was die KI nun schafft, ist für mich eine Mischung aus beidem, menschlicher „Kunst“ und natürlichem Zufall. Die KI arbeitet grundsätzlich nach vom Menschen vorgegebenen Parametern und erzeugt so auch Ergebnisse, welche zu einem gewissen Grad „ausgewählt“ und „kontrollierbar“ sind. Jedoch kommt nach Ausführen des Programms auch jene Zufälligkeit und Unberechenbarkeit der „Black Box“ hinzu, die die KI nichtsdestoweniger darstellt, deswegen ist sie ja gerade eine künstliche und keine rein menschliche Intelligenz.

Die KI schafft meiner Meinung nach also sehr wohl „echte Kunst“, da sie prinzipiell zu einem gewissen Grad den Grundlagen unserer künstlerischen Vorstellungen entspricht. Durch das Hinzutun ihrer strukturellen Eigenheiten schafft die KI jedoch eine Form der Kunst, die nicht gänzlich der menschlichen Vorstellung entspricht. Dabei bin ich mir jedoch nicht sicher, ob die menschliche Vorstellung diese „künstliche Kunst“ nicht mehr oder noch nicht fassen kann, ob die KI die Grenzen ihrer vom Menschen vorgegebenen Parameter also rudimentär „unterbietet“ oder komplex „überbietet“. So oder so stellt die „künstliche Kunst“ für mich eine Form der Kunst dar. Wir sollten sie ernst nehmen und uns mit ihr auseinandersetzen, da sie, laut Programmierung, Bezüge zu den Grundlagen „menschlicher Kunst“ aufweisen muss!

Welche Spannungsfelder und Potenziale siehst Du im Bereich Kunst/Kultur mit künstlicher Intelligenz? Wie kann KI menschliche Kreativität erweitern/stärken?

Der Mensch lernt mit fortschreitender Entwicklung immer komplexer zu denken und ist dabei anfällig dafür, grundlegendere und „einfachere“ Denkweisen und Muster mehr und mehr zu übersehen oder gar zu verlernen. Als Beispiel vergleiche man das Bild eines Autos wie es von einem Kind gemalt wurde mit dem von Erwachsenen: ersteres ist höchstwahrscheinlich minimalistischer gemalt, wohingegen sich letzteres in vielen Details verlieren kann. Trotzdem würden beide Versionen dasselbe Motiv erkennbar repräsentieren. In diesem Sinne kann die „künstliche Kunst“ der KI hier als eine Art „Lückenfüller“ für das dienen, wo der Mensch mittlerweile zu komplex denkt. Gleichzeitig offenbart die KI Formen und Strukturen von Kunst, von denen der Mensch bisher nur Vermutungen anstellen oder nur träumen konnte, deren Umsetzung bisher aber unerreicht blieb, da vielleicht kreative und/oder technische Umsetzungen noch nicht gefunden wurden.

Doch egal, welchen Platz die Kunst der KI zukünftig in der Kultur einnehmen wird, Kunst ist niemals belanglos und deswegen sollten diese neuen Formen der Kunst generell als Bereicherung und Erweiterung der Kunst- und Kulturlandschaft betrachtet und ernsthaft mit ihnen umgegangen werden!