Dagmar Wenzel – Absolventin der KI-Schule

26. Juni 2020 | Interview

Stelle Dich bitte kurz vor.

Porträt Dagmar Wenzel | © privat

Ich bin Dagmar Wenzel, lebe in Emden und bin Erwachsenenbildnerin mit den Schwerpunkten Sprachen und Mediendidaktik.

Welche Vorkenntnisse und Erwartungen hattest Du an die KI Schule?

Ich beschäftige mich seit Anfang 2019 mit KI im Kontext Lernen, war auf der KI-Tagung der Stiftung Niedersachsen im Mai 2019, organisierte mit Unterstützung der Stiftung Niedersachsen in Hannover eine KI-Tagung für die Erwachsenenbildung im Themenfeld Lernen.

Ich hatte wenig Erwartungen an die KI-Schule. Mich trieb vor allem Neugier bzw. Wissbegierde an, und ich wollte ein Projekt im Bereich Text und KI angehen, ohne schon konkrete Vorstellungen zu haben.

Was waren Deine Erfahrungen in der KI-Schule? Was hat sich von Deinen Vorstellun-gen über KI bestätigt und was wurde widerlegt? Welchen Herausforderungen bist Du im Laufe der KI Schule begegnet?

Im Laufe meiner Beschäftigung mit KI wurde immer deutlicher, dass KI ein Werkzeug ist, ähnlich wie Säge und Hammer oder Pinsel und Stift. Das habe ich bei den Aufgaben der KI-Schule und bei meinem Projekt immer wieder erlebt. Vorher hatte ich keine klaren Vorstellungen von KI, die ich hätte verbalisieren können.

Die größte Herausforderung war die Arbeit mit den Algorithmen selbst. Wir haben ja weniger programmiert, eher konfiguriert. Aber auch das fiel mir oft nicht ganz leicht.

Stelle bitte Dein Projekt in zwei Sätzen vor.

Ziel des Projekts ist es, das Potenzial Künstlicher Intelligenz beim Verfassen fiktionaler Texte interaktiv in einem Mensch-Maschine-Dialog zu erkunden. Umgesetzt habe ich diese Idee mit Hilfe des Übersetzungsprogramms „Deepl“ und mit dem neuronalen Netzwerk „GPT-2” zur automatischen Textergänzung, bereitgestellt auf der Seite https://transformer.huggingface.co/doc/gpt2-large.

Was ist die Motivation hinter Deiner Idee? Warum interessiert Dich dieser Bereich/dieses Thema/diese Anwendung?

Ich würde mich als Testlernerin für die Erwachsenenbildung bezeichnen. Kunst und Kultur sind ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. So wie es Kurse für Malerei und kreatives Schreiben mit Mal-/Schreibzeug und Papier gibt, sollte der Allgemeinheit auch der Umgang mit weiteren Werkzeugen für die Kunstproduktion in den Angeboten der Erwachsenenbildung möglich sein.

Der Mantel, fuhr es ihr durch den Kopf, wo war der Mantel. Den hatte sie in der Höhle zurückgelassen, als sie der Stimme folgte. Sie fröstelte. Sie schlief. Sie fröstelte. Sie sah die paarweisen Katzenaugen und hörte das Knacken und den stöhnenden Atemzug. Dann wachte sie auf. Sie hatte Hunger. Koste die Früchte, dachte sie und spürte den süßen Saft einer ihr unbekannten Frucht auf der Zunge. Sie schluckte. Das Tier, das auf ihrem Mantel saß, hatte ein festes Fell, das sie lieber nicht gegen den Strich streichelte. Sie liebte ihr Leben. Die Katze streckte sich und gab den Mantel frei. Er klebte fast am Boden. Der Mantel, dachte sie, ja, der Mantel.

Auszug aus „Rückweg – Teil 1” (Zwischenergebnis, geschrieben nach „Rat der Mentor*in”)

Beschreib bitte die einzelnen Umsetzungsphasen Deines Projektes. Was ist Dein Fazit?

Ich habe im Dialog mit einer KI fiktionale Texte verfasst. Dafür habe ich Textabschnitte eines ursprünglich deutschsprachigen Textes ins Englische übersetzen lassen, auf Englisch interaktiv mit einem neuronalen Netzwerk vom Typ GPT-2 Texte verfasst bzw. ergänzt. Die Rückübersetzung habe ich händisch nachbearbeitet und meinen Bedürfnissen nach der Entwicklung von Text und Handlung angepasst.

Doch eigentlich begann mein Projekt, bevor ich von der KI-Schule der Stiftung Niedersachsen erfuhr. Ich las über die Heldenreise, um für die produktive Arbeit mit Text und anderen Ausdrucksformen Anregungen für einen Spannungsbogen in fiktionalen Produkten zu bekommen. Eine Geschichte, die Elemente dieser Heldenreise aufnimmt, schaffe ich im dialogischen Schreiben mit KI.

Mein Fazit ist, dass wir durch die neuen digitalen Anwendungen vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen didaktischen Ansatzes mehr und mehr interdisziplinär vorgehen müssen.

Als ich heute durch die Straßen ging, stand dort der Nebel. Ich hielt an, betrachtete ihn, stupste ihn in die Seite, auf dass er Platz mache, aber rührte er sich nicht wesentlich. Nur seine Masse tauschte sich untereinander aus, die untere erhob sich, um der oberen unten Raum zu geben. Ich sprach ihn an, fragte ihn, was er hier mache, doch er rührte sich nicht, sparte die Antwort auf für eine Zukunft, die nirgends beginnt. Ich hauchte ihn an, er schien zu wachsen. Erleichtert, nun sein vermeintliches Geheimnis entdeckt zu haben, streckte ich ihm die Hand entgegen, aber er nahm sie nicht, wich aus. Dann fegte ein goldener Sonnenstrahl über die Stadt und strahlte auf den Ort, an dem wir standen. Es sah friedlich aus, friedlich für alle, die vorbeikamen.

Textauszug aus „Ruf zum Abenteuer” (Zwischenergebnis)

Was ist/war vor der KI-Schule Kunst für Dich? Hat es sich verändert? Kann eine Maschine/ein Algorithmus „echte” Kunst erschaffen?

Durch die KI-Schule habe ich mich mit dem Begriff Kunst bewusst beschäftigt. Kunst ist für mich das Objekt in einem kreativen Prozess. Wir setzen uns mit Hilfe ästhetischer Mittel mit der von uns erlebten Umgebung auseinander. Wer dieses Objekt schafft, ist generell wichtig, aber für die Auseinandersetzung nicht primär interessant.

KI selbst ist nicht kreativ. KI macht Vorschläge, die einen kreativen Prozess in Gang setzen oder begleiten können. Und KI kann das Resultat eines kreativen Prozesses errechnen und umsetzen. Vor dem Algorithmus, mit dessen Hilfe etwas erzeugt wird, sitzt immer ein Mensch. Das Objekt wiederum wird von Menschen rezipiert.

Was Kunst ist, hängt stets auch von unserer Bewertung ab: Märchen wurden zu Kunst aufgewertet, Legenden hingegen wurden abgewertet. Die Antwort auf die dritte Frage lasse ich hier offen.

Welche Spannungsfelder und Potenziale siehst Du im Bereich Kunst/Kultur mit künstlicher Intelligenz? Wie kann KI menschliche Kreativität erweitern/stärken?

Ein besonderes Werkzeug kann eine*n Designer*in zu einer neuen Kreation inspirieren. KI ist ein besonderes Werkzeug. Insofern sehe ich viel Potenzial. KI ist aber auch ein Werkzeug, das nicht so offensichtlich zu verstehen und greifbar ist wie ein Pinsel oder ein Stift. Hier sehe ich das Spannungsfeld, das gelockert werden kann, wenn wir mit KI als Teil unserer Umwelt produktiv umgehen. Das führt zu einem Verständnis, das auf Erleben beruht und tiefer geht als die theoretische Beschäftigung mit dem Thema.

Diesen Prozess für die öffentliche Diskussion angestoßen zu haben, ist eines der vielen Verdienste der KI-Schule für Kunst und Kultur.

Dagmar Wenzel
Erwachsenenbildung