KI und Film - Bot ersetzt Filmteam
19. Juli 2019 | Dr. Tabea Golgath
Das Eye Filmmuseum in Amsterdam stellte sich vor einigen Jahren die Frage, wie sie neues Leben in ihren großen Bestand an historischem Filmmaterial bringen könnte. Auf der einen Seite sollte das Archiv einem größeren Publikum zugänglich gemacht und auf der anderen Seite sollte das ästhetische Potenzial eines der beliebtesten KI-Werkzeuge getestet werden. Aus Sicht des Museums ist Archivierung bei den exponentiell wachsenden Datenmengen heutzutage hochproblematisch. Die Archivierung erscheint in diesem Zusammenhang weniger relevant als die Sichtbarmachung. Die Verknüpfung des teilweise bis zu 100 Jahre alten Filmmaterials mit aktuellen Neuigkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über das Streamen kurzer Video-Clips wird dem heute scheinbar unersättlichen Interesse an neuem Material gerecht.
Jan Bot vom Eye Filmmuseum Amsterdam
Das Team des Eye Filmmuseums stellte fest: Anwendungen von Künstlicher Intelligenz sind vor allem im Marketing und anderen kommerziellen Arbeitsbereichen zu finden. Sprach- und Bildanalysen von Nutzern der Sozialen Medien werden hier immer mit bestimmten – kommerziellen – Zielen verfolgt. Für den filmemachenden Bot, Jan Bot, wurden diese Algorithmen auf ein anderes Material angewandt, um dabei das Potenzial auszuloten und eine Form von filmischer Geschichte mit kurzen Textpassagen zu entwickeln.
Vorbereitend hat der Jan Bot-Algorithmus alle Filme des Archivs analysiert und als Einzelbilder gespeichert. Diese Einzelbilder sind mit der Bilderkennungssoftware Clarifai bearbeitet und mit Stichworten versehen worden. Die Zuordnungen sind nicht immer fehlerfrei, zumindest nicht im Vergleich zur menschlichen Denkweise. Der chilenisch-niederländische Filmemacher Pablo Nuñez Palma als eine der Personen hinter der Entwicklung von Jan Bot erklärt es wie folgt: „Es gibt immer Unterschiede in der Denkweise von Maschinen und Menschen. Jan Bots Filme sind die visuelle Erforschung dieser Unterschiede.“

Jan Bot begrüßt den Besucher seiner Website und stellt sich vor.
“Hi there! I don’t think we’ve met before. Let me introduce myself. I’m Jan Bot, the first filmmaking bot hired by Eye Filmmuseum to bring film heritage to the algorithmic age. I work day and night to generate short videos from archival footage using today’s trending topics as inspiration. Let me show you what I’m currently working on…”
Nun beginnt das eigentlich Spannende: Vor den Augen der Besucher*innen durchsucht Jan Bot das Filmarchiv nach passenden Motiven zu aktuellen Nachrichten und schneidet die Sequenzen in unterschiedlichen Längen und mit verschiedenen Schnitttechniken zusammen. Der Programmiercode läuft für die Besucher*innen sichtbar über den Bildschirm und Jan Bot kommentiert seine Aktivitäten in einem kleinen Chat-Fenster. Zum Schluss werden kleine Textpassagen eingeflochten und der Film betitelt, um die Verknüpfung zwischen tagesaktuellen Nachrichten und dem Filmmaterial zu erklären. Jan Bot arbeitet Tag und Nacht und schneidet so ca. zehn experimentelle Kurzfilme täglich.
Die fertigen Filme sind ausgesprochen spannende Kunstprodukte, die nicht immer ästhetisch wirken und zuweilen die Frage nach den verbindenden Elementen aufwerfen. Als Betrachterin stelle ich mir dieselben Fragen wie bei Experimentalfilmen menschlicher Filmemachern: Was möchte mir der*die Künstler*in sagen und wieso hat er*sie sich genau für diese Bildsequenzen entschieden? Jan Bots Filme erforschen diese Unterschiede visuell. Elif Rongen, Filmkurator am Eye Filmmuseum beschreibt Jan Bot so: „Für mich ist Jan Bot sowohl ein naiver als auch komplexer Filmemacher. Naiv wenn er manche Referenzen wortwörtlich nimmt und beispielsweise Bilder von felsigen Bergen auf das Stichwort von Rockmusik verwendet. Komplex ist er wiederum, wenn er Bilder inhaltlich und stilistisch vielschichtig verwendet. So vermeidet er Klischees, die ein Mensch automatisch assoziieren würde.“
Das Projekt besteht aus einer Website und einer Installation im Museum.
