Theatermaschine

18. Februar 2022 | Interview

Ein Projekt von Beteiligte: Björn Lengers und Marcel Karnapke (CyberRäuber. Das Theater der virtuellen Realität)

AI Untitled | © Cyberräuber

Das ambitionierte Projekt „Theatermaschine“ von Björn Lengers und Marcel Karnapke (CyberRäuber) stellt die Frage, ob sich ein perfekter Theaterabend durch und mit KI realisieren lässt. Innerhalb des Projekts soll KI alle Aufgaben einer Theaterproduktion übernehmen – Textentwicklung, Dramaturgie, Musik-Generierung, Beleuchtungskonzepte, Abgleich der durch die Schauspieler*innen vermittelten Emotionen und die Reaktionen des Publikums. Jeder Theaterabend wird so einzigartig. Das Projekt fußt auf der einjährigen Forschung, Konzeption, technischen Entwicklung und konkreten Inszenierung eines Vorgängerprojekts und erweitert dieses grundlegend. Die für die Umsetzung notwendigen Datenmengen wurden nicht zuletzt durch die vielen digitalen Formate und Theaterstreams während der pandemischen Einschränkungen produziert. Auch ein Scheitern des Experiments kann die Eingangsfrage beantworten und ist von großer Bedeutung. Hier berichten die Cyberräuber davon.

Was war/ist die Motivation hinter eurem Projekt?

Wir setzen uns seit einigen Jahren mit den Konsequenzen von KI in den Darstellenden Künsten auseinander. Wie in allen anderen Bereichen werden die Möglichkeiten und Methoden von KI auch dort zu fundamentalen Umwälzungen führen. Nach allen Erfahrungen, die wir bislang mit KI gemacht haben, glauben wir, dass es in zehn bis zwanzig Jahren ein vollständig anderes Theater geben wird, ob man will oder nicht. Und das möchten wir gerne miterforschen und mitgestalten.

Es geht uns beim Nutzen von Technologie auch um Prozesse der Demokratisierung. Können Rollenbilder von Regie, Dramaturgie und Schauspiel mithilfe von digitalen Werkzeugen neu gedacht und neu verhandelt werden? Welche strukturellen Auswirkungen können sich daraus für das Medium und die Rezeption ergeben? Welche neuen Phänomene prägen sich aus und welche Vor- und Nachteile ergeben sich gegebenenfalls? Kurzum, es geht uns zentral auch um die Erforschung neuer Schnittstellen und Schnittmengen zwischen Technologie und Kunst.

Welche Bedeutung hat euer Projekt für die Darstellenden Künste allgemein?

Keine Ahnung, ob unsere Arbeiten in dem Kontext eine Bedeutung für die Darstellenden Künste haben, KI hat jedenfalls eine enorme Bedeutung. Letztlich stellt sich die Frage, ob Theater sich auf ein geschütztes Reservat zurückzieht, in dem der Status des Jahres 2019 und der davor liegenden Theaterepochen eingefroren und bewahrt wird, oder ob es sich weiterentwickelt. Das Theater hat sich bislang immer weiterentwickelt, insofern sind wir optimistisch.

Schon bei unserem ersten Stück, das zentral auf KI baut, sind uns Effekte aufgefallen, die wir sehr spannend fanden: Schauspieler*innen berichteten uns von einer Form der Befreiung vom Text, der sonst auswendig gelernt wird und hier über und durch einen hindurch fließt, dabei eine Art von Flow-Zustand erzeugt, der selten erreicht, aber oft gesucht wird. Die Geschwindigkeit, mit der die KI uns mit Texten versorgt, ist dermaßen hoch, dass man nur noch handelt, weniger überlegt und denkt, sondern ganz im Moment existiert. Auch dass es keine externe Regie gibt, keine strengen Vorgaben und dass der Text alles bedeuten kann, erschafft eine völlig neue Form von Verantwortung und Freiheit.
Letztlich erkennen wir, dass vielleicht ein neues Theatergenre entwickelt wird, das KI-Theater. Und das könnte man schon jetzt zwischen co-kuratiert und Echtzeit-basiert in zwei Klassen unterscheiden, beide studieren und definieren. Einige Kritiker*innen gehen sogar so weit, unsere Arbeit als „Nicht-Theater” zu deklarieren und scheinen damit eine neue Form von bisher unbekanntem Theater geradezu vorwegzunehmen.

Was war/ist besonders wichtig für die Umsetzung eures Projekts?

Im Rahmen der LINK-Masters Full Grants können wir das Projekt leider nicht umsetzen, aber wir machen weiter. Grundsätzlich kann man sagen: Es ist künstlerische Forschung, daher braucht es Zeit und die richtigen Leute. KI wird derzeit in weiten Teilen Open Source entwickelt, in einer weltweiten Forscher*innengemeinschaft. Die Technik ist zugänglich, wir brauchen aber die Möglichkeit zu denken, zu reden und zu arbeiten. Das heißt auch, kleine Prototypen zu entwickeln, zu testen und zu verwerfen, im Sinne Becketts „to fail better”.
LINK hat uns geholfen, weiter über Schnittstellen zwischen KI und Mensch nachzudenken und dafür ein neues Konzept der VR-basierten Interaktion zu entwickeln. Außerdem haben wir bemerkt, dass es ein enormes Interesse auf Seiten der Schauspieler*innen und Theatermacher*innen gibt, sich selbst mit KI auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Daraus entstand ebenfalls der Gedanke, eine Form von Werkzeugkoffer zu entwickeln, mit dem es möglich wäre, KI und Theater an vielen Institutionen für Forschung, Spiel und Lehre einzusetzen.

Was waren/sind Herausforderungen?

Breed One | © Cyberräuber

Die Herausforderungen für uns sind seit Jahren ähnlich: verständlich zu machen, dass die technischen Entwicklungen und Herausforderungen für unsere Gesellschaft (und für unsere Kunstform) sowieso kommen, und dass man sie gestalten kann, nicht einfach ertragen muss.
Es ist frustrierend, den Vorwurf zu hören, wir wollten das Theater abschaffen und den Menschen ersetzen. Im Gegenteil ist uns daran gelegen, es zugänglicher zu machen, mehr Menschen dafür zu begeistern, (neue) Wege in die Kunst zu bauen. Dabei leiden vielleicht bestimmte Konventionen und Institutionen, nicht aber die Kunst. Um Gustav Mahler zu paraphrasieren: Es geht uns um die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche.
Gerade wenn Menschen fürchten, dass wir durch KI- und VR-Technologien daran arbeiten, das Theater ganz oder in Teilen abzuschaffen, dann haben wir vermeintlich versagt. Unser Ziel ist im Gegenteil zu versuchen, die Theaterform zu erweitern und zu öffnen, sie mehr Menschen zugänglich zu machen als nur einer kleinen auserwählten Elite.

Hat sich im Prozess eure Perspektive auf das Projekt verändert?

Wir haben in der Planungsphase erkannt, dass wir durch die Einbindung von immersiven Technologien (VR/AR) KI noch ganz anders zugänglich machen können, wir mehr Möglichkeiten haben als durch die alleinige Arbeit auf physischen Bühnen, wie wir das für die Projekte „Prometheus unbound” und „Der Mensch ist ein Anderer” gemacht haben.
Wir glauben weiterhin an die Kraft des Theaters und die zentrale Rolle des Menschen im Geflecht von VR/AR- und KI-Technologien und deren künstlerischer Erforschung. Wir planen jetzt sogar Stücke, bei denen wir nicht mehr nur zwei oder drei Schauspieler*innen an unser System anschließen, sondern sogar an Gruppen und an Laien aus verschiedenen Institutionen denken. Auch die Verknüpfung von Echtzeit VR und KI ist jetzt für uns in greifbare Nähe gerückt und stellt ein spannendes Gebiet im Rahmen von Cybertheater dar.

Kontakt
Marcel Karnapke und Björn Lengers
Cyberräuber

Team

Marcel Karnapke lebt und arbeitet in Berlin und ist Theaterregisseur, Entwickler, sowie Dozent und Mitbegründer des Künstlerkollektivs „CyberRäuber“, das neue Formate und Anwendungen für Mixed Realities im Kontext von klassischem Theater, Oper und Ballett realisiert. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Verschmelzung von Hochtechnologien mit Architekturen des menschlichen Narrativs. Marcels Werk umfasst Themen wie Virtual Reality, künstliche Intelligenz künftige Architekturen sowie Archäologie und Realitätsrekonstruktion.

Marcel ist Gewinner des 3D Guild Award auf dem International 3D Summit in Lüttich, Belgien, und gewann 2017 den Halo Award in Gold auf den VR Days in der Kategorie bester 3D-VR-Animationsfilm mit „Pitoti Prometheus“, produziert an der University of Cambridge, England. In dessen Rahmen entstanden auch mehrere skulpturale Werke die auf der Triennale di Milano gezeigt wurden. Die VR-Arbeit „Memories of Borderline“ in Zusammenarbeit mit dem Theater Dortmund war zudem Gast der Berliner Festspiele. Die jüngsten Arbeiten umfassen das „Cyberballet“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe, dass Stück „Verirrten sich im Wald“ am Deutschen Theater Berlin, sowie die vollständig auf künstliche Intelligenz beruhende Theaterarbeit „Prometheus Unbound“ am Landestheater Linz. Im Jahr 2020 gehörte das VR-Werk „Ilios“ zu den XR Social & Environmental Impact Finalisten.

 

Björn Lengers, Jahrgang 1971, ist gelernter Betriebswirt, Datenanalyst und Entwickler. Gemeinsam mit Marcel Karnapke bildet er die CyberRäuber. Nach den ersten Arbeiten CyberRäuber (mit Wojtek Klemm, nach Friedrich von Schiller) und Memories of Borderline (mit Kay Voges, auf Basis der Borderline Prozession am Schauspiel Dortmund) haben sie zuletzt mit Meet Juliet | Meet Romeo (zusammen mit Branko Janack), Der goldne Topf (Regie: Nicola May, Theater Baden-Baden) und Verirrten sich im Wald... (Regie: Robert Lehniger, Deutsches Theater Berlin) Stücke entwickelt, die digitale Technologien auf die Bühne bringen.