The World-Builder's Guide to Dance and AI

31. Januar 2022 | Interview

Ein Projekt von Anton Koch (Motion Bank, Hochschule Mainz), Daniel Bisig (Coventry University), Deva Schubert (freie Choreografin), Deborah Williams (University of Malta) und Anna Pakes

Das komplexe Projekt „The World-Builder's Guide to Dance and AI“ stellt eine Reihe von beispielhaften und wichtigen Forschungsfragen und untersucht, wie Welten durch bewegte menschliche und nicht-menschliche Agenten sowie diverse Anwendungen von KI konstruiert und verändert werden. Das interdisziplinäre Team verbindet Perspektiven aus KI, Choreografie, Anthropologie und Philosophie und besteht aus Anton Koch, Daniel Bisig, Deva Schubert, Deborah Williams, Anna Pakes und Heike Salzer. Das Team konzentrierte sich dabei auf vier Unterprojekte, die sich mit verschiedenen Arten von Welten beschäftigen und die körperlichen Mittel der Tänzer*innen auf unterschiedliche Weise einbeziehen: (1) die Abbildung konzeptioneller Welten in datengestützten choreografischen Arbeitsprozessen; (2) rechnerische Simulation von Welten auf der Grundlage biologischer und physikalischer Prinzipien; (3) Erweiterung virtueller Welten im Kontext von Gamedesign mittels spekulativer fiktionaler Choreografie; und (4) Erforschung der algorithmischen und rhythmischen Parameter folkloristischer Welten. So soll ein „World builder's Guide to Dance and AI” erschaffen werden – eine multidimensionale Plattform, die Künstler*innen, Pädagog*innen, Studierenden und künftigen Forscher*innen Erkenntnisse und Ressourcen zur Verfügung stellt, die ihnen helfen, ihre eigenen Welten unter Einsatz von KI zu konstruieren und zu erforschen. Im Interview berichtet das Team von seinen Erfahrungen während der Planning Grant-Phase und stellt seine Arbeit vor.

Wie hat sich euer Team zusammengefunden und wie hat sich eure Idee entwickelt?

Obwohl sich einige Teammitglieder bereits kannten, haben wir uns beim LINK-Masters-Workshop im November 2020 kennengelernt, als klar wurde, dass wir ein gemeinsames Interesse am Thema World-Building in der KI und im Tanz haben. Das führte zu Online-Meetings, um den Fokus der Planungsphase des Projekts zu verfeinern. Dazu gehörten regelmäßige Präsentationen, bei denen die Teammitglieder abwechselnd ihr Fachwissen und dessen Relevanz für das zentrale Thema vorstellten sowie ein zweitägiger Besuch von Deva und Juan bei MotionBank, wo sie mit dem Motion Capture-System experimentierten. Die Online-Diskussionen zur Entwicklung der Projektidee dauerten von Februar bis September 2021. Unsere kreative Zusammenarbeit entwickelte sich durch einen Brainstorming-Prozess, der Themen wie generativen Tanz, Welterschaffung für Computerspiele und Welterschaffung als interdisziplinäres Unterfangen umfasste. Die gemeinsam erarbeiteten Ideen und Arbeitsprozesse des Projekts wurden so aus dem Austausch unserer persönlichen und beruflichen Erfahrungen und Fachkenntnisse heraus formuliert.

Ohne ein explizites konkretes Ergebnis zu formulieren, einigten sich die Mitglieder auf einen offenen Prozess des Wissenstransfers, der (kritischen) Reflexion und der interdisziplinären Untersuchung von KI in Bezug auf und als praktische Ergänzung zu „World-Building“, wie es in den darstellenden Künsten, der Philosophie, der Anthropologie und der Informatik praktiziert und studiert wird. Die sich daraus ergebende Idee eines „Leitfadens“ entstand schon früh, um ein immanentes Problem für eine Gruppe zu lösen, die ein breites Spektrum an Hintergründen und Perspektiven abdeckt: Wie können wir Strategien entwickeln, um eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zu ermöglichen, und welche Werkzeuge können wir entwickeln, um die Navigation in dieser riesigen Landschaft von Tanz und KI zu erleichtern? Wir wollten diese Reise aus erster Hand im Studio erleben und uns gleichzeitig einen Überblick über das gesamte Ausmaß unserer Reise verschaffen.

Was macht euer Coworking besonders?

Präsentation The World-Builder's Guide to Dance and AI

Das Team besteht aus einem breiten Spektrum fachlicher Hintergründe, was es uns ermöglicht, Einblicke in verschiedene Bereiche zu gewinnen und eine einzigartige Kombination aus künstlerischen, wissenschaftlichen und technischen Ideen, Motivationen und Methoden zu entwickeln. Wir genossen den Kontrast zwischen experimentellen, idiosynkratischen, spielerischen und subversiven Ansätzen und konzeptionellem, systematischem, von Konventionen geprägtem Denken. Wir haben ein echtes Interesse an der Arbeit des anderen und die Fähigkeit, sowohl zuzuhören als auch zum Projekt als Ganzes beizutragen.

Das Projekt umfasste eine kontinuierliche, iterative Ausdifferenzierung einer breiten anfänglichen Idee, so dass eine klare Linie vom Anfang bis zum Ende der Planungsphase zu erkennen ist, die in einem gemeinsamen Ziel gipfelt. Dies, zusammen mit Konsistenz und Regelmäßigkeit, ermöglichte einen effizienten Ablauf der Treffen und machte den Coworking-Prozess stets bereichernd und anregend.

Wenn ihr eure Erfahrungen der letzten 6-8 Monate mit anderen Kooperationen vergleicht, hat die Beschränkung auf digitale Kommunikation die Prozesse beeinflusst?

Es war unvermeidlich, dass der Schwerpunkt stärker auf Diskussionen, thematischem Austausch und Brainstorming lag als auf konkreten Experimenten und physischen Erfahrungen.

Es gab negative und positive Aspekte der Zusammenarbeit, die sich weitgehend online entwickelte. Wir konnten zuhören und das vorgeschlagene Projekt formulieren, wurden aber in Bezug auf die persönliche Arbeit zurückgehalten, bei der wir uns in einem gemeinsamen Raum hätten bewegen können. Das Projekt als Ganzes wäre wahrscheinlich stärker gewesen, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, gemeinsam im Studio zu arbeiten und zu „spielen“.

Positiv ist, dass die Kommunikation größtenteils digital erfolgte, so dass es eine ständige „Papierspur“ in Form von Aufzeichnungen und Dokumenten gab. Dies ermöglichte mehr Rückblicke und Überlegungen zwischen den Treffen und erleichterte es wahrscheinlich, immer mehr auf den vergangenen Gesprächen aufzubauen. Da wir jedoch häufig über die physisch orientierte Praxis diskutierten, wurde der Austausch durch die Beschränkung der Videokonferenz in dieser Hinsicht etwas beeinträchtigt. Auf jeden Fall ergab sich dadurch eine etwas andere Form der Zusammenarbeit als sonst!

Was waren die Herausforderungen?

Präsentation The World-Builder's Guide to Dance and AI

Da wir uns hauptsächlich online getroffen haben, blieben die Projektdiskussionen eher abstrakt. Hätten wir mehr im Studio arbeiten können, hätten sich die Ideen wahrscheinlich konkreter und experimenteller entwickelt. Die Erzielung eines Konsenses über bestimmte Kernprinzipien, die allgemeine Vermittlung und Übertragung von Ansichten und Konzepten erwies sich als größere Herausforderung, wenn nicht zumindest eine gewisse direkte Interaktion durch die physische Anwesenheit der Teammitglieder stattfand.

Eine weitere große Herausforderung war der Umgang mit der interdisziplinären Vielfalt und der Vielzahl der Themen. Wir mussten Wege finden, um viele verschiedene Ideen und Fachgebiete zu einem kohärenten Ganzen zusammenzuführen. Dies war eigentlich eine positive Herausforderung, da wir gezwungen waren, über unsere eigenen Forschungsinteressen und -erfahrungen hinaus zu denken, um die Themen zu organisieren und auszuwählen. Die Entwicklung von Form und Inhalt des Leitfadens und die Bestimmung seiner Zielgruppe war eine weitere positive Herausforderung, bei der es darum ging, Wege zu finden, die kreativen Erkenntnisse und den Ethos des Projekts auf breiter Basis zu vermitteln. Dazu gehörten auch Strategien, um die unterschiedlichen Sichtweisen und Meinungen der Teammitglieder hervorzuheben, anstatt sie unter einem gemeinsamen Nenner zu subsumieren.

Lässt sich eure Projektidee auf andere Kunstgattungen übertragen? Was können andere von eurer Arbeit lernen?

Präsentation The World-Builder's Guide to Dance and AI

Ja. Wir haben uns auf Tanz und Choreografie konzentriert, aber unser Ansatz ist auf jedes Kunstgenre übertragbar, da er ein Modell für das gemeinsame Denken und Schaffen auf neue und andere Weise vorschlägt. Dies gilt insbesondere für alle Projekte, die sich mit den Überschneidungen von Körper, Technologie und Kultur beschäftigen und eine gemeinsame Arbeitsweise entwickeln müssen. Unsere konsequente Dokumentation jeder Phase der künstlerischen Forschung ermöglichte die Rückverfolgung und Metareflexion sowie die Entdeckung neuer Wege in einem iterativen Prozess. Dies modelliert einen interessanten dramaturgischen und kuratorischen Ansatz zur Erforschung von Technologie (einschließlich KI) in der künstlerischen Forschung.

Unser spekulativer und interdisziplinärer Ansatz untersuchte, wie sich verschiedene Perspektiven auf ein und dasselbe Thema produktiv überschneiden und dennoch unabhängig voneinander existieren und sich weiterentwickeln können, was sowohl fruchtbare Spannungen als auch gemeinsame Interessensgebiete schafft. Dieser Ansatz ist prinzipiell für alle Forschungsprojekte relevant, die sich auf ein ähnlich vielfältiges Spektrum von Disziplinen stützen, und trägt dazu bei, kooperative, ergebnisoffene und wirklich horizontale Arbeitsweisen zu etablieren.

Team

Anna Pakes ist freiberufliche Forscherin, Dozentin und Übersetzerin sowie ehemalige Tänzerin und Choreografin. Sie ist Senior Honorary Research Fellow an der University of Roehampton, wo sie von 2017 bis 2021 Tanzphilosophie lehrte und die Forschungsaktivitäten der Tanzabteilung leitete. Sie hat einen BA in Englisch und modernen Sprachen (Oxford), einen Doktortitel (Laban Centre/City University) und ein Diplom in zeitgenössischem Tanz vom Centre National de la Danse Contemporaine (Angers). Ihre Forschung stützt sich auf die (hauptsächlich analytische) Philosophie der Kunst, des Geistes und der Sprache, um Fragen zu untersuchen, die durch die Tanzpraxis aufgeworfen werden, einschließlich der Natur des Tanzes und des verkörperten Wissens. Sie hat auch die Ontologie des Tanzes untersucht (Choreography Invisible, 2020) und interessiert sich für die Metaphysik von Welten, seien sie physisch, kulturell, fiktional oder virtuell.

Anton Koch ist der leitende Entwickler und technologische Stratege für das Motion Bank Projekt, eine Forschungsinitiative, die vor 10 Jahren in Frankfurt von dem Choreographen William Forsythe ins Leben gerufen wurde. Er verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der Software-Entwicklung sowohl für Start-ups als auch für kulturelle und künstlerische Projekte. Seine Hauptaufgabe besteht darin, neue Technologien für Anwendungen zu erforschen, zu bewerten und zu implementieren, die sich an Praktiker*innen, Pädagog*innen und Forscher*innen im Bereich Tanz richten. Seine aktuelle Arbeit in einem dreijährigen, vom Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) geförderten Projekt konzentriert sich auf die Erweiterung kreativer Arbeitsabläufe durch die Anwendung von Machine Learning und allgemeinen KI-Konzepten.

Daniel Bisig wurde 1968 in Zürich, Schweiz, geboren. Er hat einen Master und einen Doktortitel in Naturwissenschaften von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH). Von 2001 bis 2015 arbeitete er als Senior Researcher am Labor für Künstliche Intelligenz der Universität Zürich. Derzeit arbeitet er als Senior Researcher am Institut für Computermusik und Tontechnik der Zürcher Hochschule der Künste und als Assistenzprofessor am Center for Dance Research der Coventry University. Die letztgenannte Tätigkeit ist Teil seines zweijährigen Marie-Curie-Stipendiums. Daniel Bisig ist als Forscher und Künstler in den Bereichen Generative Kunst und Tanz und Technologie tätig.

Deborah Williams ist Tänzerin und Tanzwissenschaftlerin mit Fachkenntnissen in Anthropologie und mündlicher Geschichte des Tanzes. Sie hat einen BA in Tanz (Smith College), einen MA in Tanzanthropologie und einen PhD (beide von der University of Roehampton). Derzeit unterrichtet sie an der School of Performing Arts der Universität von Malta und arbeitet an einem mehrjährigen Projekt zur mündlichen Überlieferung von „alltäglichen” Tänzer*innen mit dem Titel Social Value/Valuing The Social. Außerdem hat sie zusammen mit Heike Salzer das Feld der Ludochoreologie initiiert und entwickelt, in dem anthropologisches und tänzerisches Fachwissen genutzt wird, um die Entwicklung von Bewegung und Weltgestaltung in digitalen Online-Spielen zu unterstützen.

Deva Schubert ist eine in Berlin lebende Künstlerin, Tänzerin und Choreografin. Nach dem Studium von Tanz und Bildender Kunst erhielt sie ihren Abschluss am HZT Berlin. Ihre Arbeit befasst sich mit neuen Formen des Zusammenseins und Kommunikationsprozessen durch interdisziplinäre Formate an der Schnittstelle von traditionellen Kunstformen (Volkstanz und Musik) und Technologie (Mixed Media, KI und Live Coding). Ihre Arbeiten werden in verschiedenen Formaten und an verschiedenen Orten gezeigt, darunter die Kunsthalle Zürich, die Gessnerallee, das Kunstmuseum Uppsala und das Radialsystem Berlin. Von 2018 bis 2020 war sie künstlerisches Mitglied des Creative Europe Forschungsprojekts zu Tanz und Technologie Moving Digits. Sie arbeitet eng mit Juan Felipe Amaya Gonzalez zusammen.

Juan Felipe Amaya Gonzalez (er/sie) ist ein kolumbianischer Performancekünstler, der in Berlin lebt und in den Bereichen Tanz, Choreografie und bildende Kunst arbeitet. Seine Arbeiten lassen sich in der Konvergenz interdisziplinärer Praktiken und unerwarteter Begegnungen verorten und beschäftigen sich mit Spekulationen über Zeit, Technologie und Umgebungen. 2015 gründete er zusammen mit Simone Gisela Weber das Kollektiv Kimberly Kaviar, das 2018 für das Mentoring-Programm "Newcomer" des Landesverbandes Freie Darstellende Künste Berlin e.V. (LAFT) ausgewählt wurde. Er ist außerdem Mitbegründer von Scores for Gardens, einer Studiengruppe, die an der Schnittstelle von Performance und kritischer Theorie arbeitet, in Zusammenarbeit mit Travers, Radialsystem und unterstützt von der Gwaertler Stiftung. Von 2018 bis 2020 war er Mitglied des Creative Europe Forschungsprojekts zu Tanz und Technologie Moving Digits. Er arbeitet hauptsächlich mit Künstlern wie Deva Schubert, Jan Rozman, Maciej Sado, Florine Leoni, Michael Portnoy, Heiner Goebbels, Nile Koetting und anderen zusammen.