Moonshot-Thinking - Teil 2

8. November 2019 | Susanne Schuster

Insbesondere in den Freien performativen Künsten ist zu beobachten, wie digitale Erzählstrategien und dramaturgische Konzepte der „digitalen Bühne“ adaptiert werden und innovative Impulse für hybride Kunstformen darstellen. Zugleich bestehen allerdings auch noch viele Hürden, die Finanzierung, Expertise und Projektmanagement betreffen. Dabei geht es nicht nur darum das nötige Kleingeld für die Programmierer*innen aufzubringen, die einem die Wunschsoftware herstellen, sondern vor allem um selbstbestimmte Ausbildungsoptionen: es fehlen Zugänge, um die eigene künstlerische Arbeit an digitalen Mitteln zu organisieren und zu realisieren, um Digitalisierungsstrategien in den eigenen Schaffensprozess einzubinden. Um die Gestaltung und Transformation unserer digitalen Realitäten nicht den amerikanischen Digitalkonzernen zu überlassen, ist es daher notwendig die Positionen von Künstler*innen als kritisch hinterfragende Instanzen in einer digitalisierten Gesellschaft zu stärken. Gemeinsam mit euch und Ihnen würde ich gern heute und darüber hinaus nachdenken, welche Fördermodelle sinnvoll sind, um den neuen Produktionsbedingungen und alternativen Rezeptionsformen Rechnung zu tragen.

Wie können digitale, interdisziplinäre Kunstformen angemessen gefördert werden, die nicht in die üblichen Kunstsparten und darauf zugeschnittene Förderprogramme passen? Wie können die bisherigen Ansätze im Umgang mit digitalen Technologien in der Freien Darstellenden Kunst besser gebündelt und für alle zugänglich gemacht werden?

Welche Modelle sind denkbar für ein gemeinsames Open Source-, Open Data- und Open Access-Management?

Wie können Daten und digitale Anwendungen, die durch künstlerische Praxis entstanden sind, geschützt werden und unabhängig von kommerziellen Unternehmen lokal gespeichert werden?

Projekt Max Empathy ++

Max Empathy ++ Outofthebox | © Moritz Küstner

In dem performativen Szenario MaxEmpathy++ spekuliert das Medien- und Theaterkollektiv OutOfTheBox über alternative Berufsfelder. Mithilfe einer selbstentwickelten Software simuliert OutOfTheBox für die Teilnehmenden eine Clickworking-Erfahrung und erprobt ein neuartiges Modell der Arbeit.

Aus diesen Fragen ergeben sich konkrete Handlungsfelder, die sich gleichermaßen an Kulturpolitik, Kulturinstitutionen und die Künstler*innen selbst richten: Das Hauptziel sollte dabei stets sein, Zugänge zu Wissen und Expertisen zu ermöglichen und zu teilen. Ein erster Schritt um Synergien und einen gegenseitigen Wissenstransfer anstoßen zu können, wäre die Einrichtung von freien künstlerischen Forschungsräumen, in denen eigene digitale Arbeitsstrategien entwickelt werden können. In den Workshops, die ich mit OutOfTheBox gebe, wird immer wieder deutlich, dass das größte Problem Zeit ist. Unserer Erfahrung nach besteht ein sehr großes Interesse an digitalen Erzählweisen und Inszenierungsstrategien, die Schwierigkeit besteht jedoch darin, insbesondere für Professionelle, erfahrene Künstler*innen, nachhaltige Freiräume für Weiterbildung zu finden, die sich mit dem Produktionsalltag vereinen lassen.

Dafür müssen Freiräume geschaffen werden, für Stipendien und Ausbildungsmöglichkeiten, in denen Künstler*innen eigenständig digitale Strategien entwickeln können und Akteur*innen der Kreativindustrie auf Augenhöhe begegnen können. Ganz konkret müssten hier übergreifende Strukturen aufgebaut werden, die Räume, Formate, Expert*innen und technische Ausstattung zur Verfügung stellen, die den Austausch der Kulturschaffenden an bestimmten Orten bündeln und Möglichkeitsräume für Arbeiten mit digitalen Strategien öffnen. Jene künstlerischen Forschungszeiträume benötigen aber ebenso ein faires Honorar, damit auch der gedankliche Freiraum für neues Wissen und Experimentieren gegeben ist. 

Moonshot-Thinking und Vernetzung

Bisher habe ich etwa ein halbes Dutzend Künstler*innen kennengelernt, die sich selbst Programmierkenntnisse angeeignet haben und digitale Strategien und Tools für Kunst verwenden. Das Problem ist aber, dass sie in ihren eigenen Produktionszusammenhängen verstrickt sind, wodurch der Austausch mit anderen häufig erschwert wird. Ein Vorschlag, um die Expertisen zu bündeln und zu öffnen, wäre der Aufbau einer Plattform, die Formate für Vernetzung und Fortbildung schafft, sowie digitale Ausstattung und Gelder für die Umsetzung bereitstellen. Dabei geht es insbesondere darum, Leute mit und ohne Wissen zusammen zu bringen, um den Bestand an Personen hinsichtlich Programmierkenntnisse und Projektmanagement zu vergrößern und zu verbreiten. Im besten Fall mit dem Ziel, das gebündelte Wissen Open Source zu stellen, um es allen zugänglich zu machen.

Darüber hinaus bedarf es der Vernetzung und Fortbildung der Kulturbetriebe und Förderinstitutionen: mit eigenen Abteilungen und Beauftragten, um digitale Strategien aufzubauen und Kenntnisse einzubinden, die sich ausschließlich damit auseinandersetzen, diese Institutionen ins digitale Zeitalter zu überführen. So könnten sie selbstständig digitale Strategien einsetzen und durch ihre Expertisen Infrastrukturen hervorbringen, die Kulturschaffenden in diesem Feld fördern.

Und zu guter Letzt sehe ich eine der größten Herausforderungen für alle Beteiligten darin, sich vom Produktionszwang zu befreien und Freiräume zu gestalten, in denen prozessorientiertes Arbeiten und Scheitern möglich und gewünscht ist. Digitalität als ästhetische Praxis ist ein Feld, das erst noch erforscht werden will. Hierfür bedarf es Moonshot-Thinking! Noch so ein Zauberwort aus dem Silicon Valley: Moonshot-Thinking ist ein Begriff, den Google geprägt hat, um stets das ganz große, ferne Ziel erreichen zu wollen, auch wenn es zunächst unmöglich erscheint. Angelehnt an John F. Kennedys Ankündigung zu Beginn der 1960er Jahre, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Amerikaner auf den Mond zu bringen. Letztlich geht es bei Moonshot- Thinking um Impact, um die Idee davon, dass ein bestimmtes Unternehmen durch ihre digitalen Produkte uns und unser Leben verändern werden.

Dieser Ansatz ist auch im Kontext von Kunst spannend. Zugleich muss aber betont werden, dass es bei den vorgeschlagenen Digitalisierungsstrategien nicht darum geht, Kunst mit der Kreativindustrie gleich zu setzen. Die Rolle der Kunst steht in enormen Widerspruch zu den neoliberalen Denkweisen und dem Monetarisierungsdruck der Kreativwirtschaft.

Ich bin aber der Ansicht, dass Prinzipien wie Konvergenz und Moonshot-Thinking schon längst Teil der künstlerischen Praxis sind, auch wenn sie möglicherweise anders genannt werden. Um uns als Gesellschaft Spielraum zu geben, brauchen wir jedoch Künstler*innen und Kulturschaffende, die in ihrer Auseinandersetzung mit digitalen Phänomenen nicht abgehängt werden. Die an den Themen und Techniken, die uns heute und in Zukunft maßgeblich beeinflussen nicht nur teilhaben, sondern selbst eine kritische, weltenentwerfende digitale Lebensweise gestalten.

Mit freundlicher Genehmigung

Ein Beitrag von
Susanne Schuster
Dramaturgin

Über die Autorin

Susanne Schuster ist freie Dramaturgin und Produktionsleiterin. Seit 2017 gehört sie zum Leitungsteam des Festivals Hauptsache Frei Hamburg, für das sie u.a. den Digital Track kuratiert. Zudem ist sie Teil des Medien- und Theaterkollektivs OutOfTheBox und promoviert seit 2018 an der Universität Hildesheim zum Thema Digitalität als ästhetische Praxis.