Lernen mit KI – Analyse von Lernverhalten und adaptive Medien

30. April 2020 | Dr. rer. nat. Nicolas Großmann

Gerade in der aktuellen Zeit werden digitale Lernformate wichtiger denn je. Die Bereitstellung von digitalen Lernmaterialien ist eine Sache, aber wie kann tatsächlich sichergestellt werden, dass die Schüler*innen genau den Stoff erhalten, welchen sie benötigen?

Obwohl unser Bildungssystem das individuelle Lernen als Schlüssel zu einer modernen und integrativen Gesellschaft betrachtet, berücksichtigen die heutigen Lernumgebungen die dafür notwendigen individuellen und adaptiven Lernprozesse nur in einem sehr begrenzten Umfang. Sensoren hingegen erlauben die Erfassung des Leseverhaltens und des kognitiven Zustandes der Lernenden und können etwa bei erhöhter Belastung oder Überanstrengung individuelle Vorschläge zur Erhöhung des Lernerfolges machen. Dazu nutzt man Technologien wie Eye-Tracker, Sprach- und Gestenerkennung oder Infrarot-Kameras oder Augmented Reality-Brillen.

Gerade in Zeiten wie diesen nimmt das Lernen mit Hilfe digitaler Technologien einen immer größeren Bereich ein, sowohl in der schulischen/universitären Ausbildung als auch in der betrieblichen Weiterbildung. Durch digitale Technologien stehen viel weitreichendere Möglichkeiten als bisher zur Verfügung. Statt eines einfachen Textbuches, eines Tafelanschriebes oder einer -zeichnung können Musikstücke, Animationen und ganze Videos verwendet werden. Jedoch stellt sich dabei die Frage, wie aus dieser Fülle von neuen Möglichkeiten die optimalen zur Lernsituation passenden Elemente ausgewählt werden sollen und wann diese den Lernenden zum geeigneten Zeitpunkt zur Verfügung gestellt werden sollen.

Da Lernen ein höchst individueller Vorgang ist, lässt sich darauf keine allgemeingültige Antwort finden. Lernkräfte können diesen Vorgang durchführen, jedoch ist es notwendig diese hierbei zu unterstützen, sei es aufgrund des durch die zunehmende Klassengröße oder der Remote-Übertragung verringerten Überblicks. Mit Hilfe von Sensortechnologie und Künstlicher Intelligenz versuchen wir, diese Lücke zu füllen. Sensoren erlauben uns einen direkten Einblick in Vorgänge und Zustände zu gewinnen, die sonst für außenstehende Beobachter unsichtbar sind. Fühlt sich eine Person in der ihr gestellten Lernsituation unbehaglich; ist die gestellte Aufgabe zu schwer um bearbeitet werden zu können oder induzieren die Umgebungsbedingungen Stress, der sich negativ auf die Effizienz der Aufgabenbewältigung auswirkt? Um solche Zustände messen zu können, greifen wir auf eine Vielzahl von Sensoren zurück.
Genau hierfür stellt unser Immersive Quantified Learning Lab – iQL (iql-lab.de) eine Lernumgebung mit technologiebasierten, interaktiven Kommunikationsmedien dar.

[W] wie Wissen vom 9. November 2019

Das Schulbuch der Zukunft | [W] wie Wissen

Unter Verwendung von intelligenten Analyse- sowie Maschine-Learning-Verfahren sollen dadurch individuelle Unterstützungsmaßnahmen für jede Altersgruppe bereitgestellt werden. Das iQL gibt einen Einblick in die neusten Sensor-Technologien wie elektro-okulare Brillen, elektro-dermale Armbänder, Eye-Tracker oder Augmented-Reality-Brillen und wie diese in Lern- und Arbeitsszenarien verwendet werden können, um den kognitiven Zustand von Versuchspersonen zu messen und um Bedingungen zu schaffen, die die kognitive Belastung verringern und die Effizienz erhöhen.

Ein Beispiel ist im nächsten Bild gezeigt, ein Vokabeltest, der das individuelle Selbstvertrauen der Lernenden anhand deren Blickbewegungen erfasst, der Eye-Tracker ist hierbei eine unauffällige, kleine schwarze Sensorleiste direkt unterhalb des Bildschirms.

Eyetracking-Experiment im Labor | © DFKI

Basierend auf den charakteristischen Mustern, z.B. wie lange werden Frage und Antworten gelesen, wie oft wird zwischen Frage und Antworten hin- und hergeschaut, wie oft wird zwischen den Antworten hin- und hergeschaut oder wie lange bleibt der Blick auf einer Antwort, bis diese angeklickt wird, kann mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz das Selbstvertrauen der Probanden bestimmt werden und darauf aufbauend der Test verändert werden. Scheint der*die Teilnehmer*in bei diversen Fragen unsicher, können ähnliche Aufgaben zur Wiederholung gezeigt werden.

Es ist wichtig, dass als allererstes vor der Datenaufnahme sich genau überlegt werden muss, welche Sensortechnologien sich überhaupt zum Messen der benötigten kognitiven Zustände eigenen. Dabei hilft einem die Fachliteratur aus dem Gebiet der Psychologie und Neurologie. Um Dinge wie Selbstvertrauen, Interesse oder Verständnis vom Computer ermitteln zu lassen, muss mit Hilfe der Methoden des Maschinellen Lernens ein sogenannter Klassifizierer (engl. Classifier) trainiert werden. Dazu werden zunächst Trainingsdaten von Lernenden benötigt, welche mit den diversen Sensortechnologien erhoben werden. Die Probanden werden also in die Lernsituation versetzt und bearbeiten die zu messenden Szenarien während Sensordaten das Lernverhalten aufzeichnen. Basierend darauf können Algorithmen Muster in den Daten ermitteln und charakteristische Zusammenhänge erkennen. Somit ist es nun möglich diesen Klassifizierer auf die Daten unbekannter Probanden anzuwenden und korrekte Vorhersagen über deren Lernzustände zu erhalten. Hierbei ist zu beachten, dass die erhobenen Daten sehr stark vom gegebenen Problem abhängen und sich die trainierten Klassifizierer ohne Neuerhebung der Trainingsdaten kaum auf andere Probleme anwenden lassen. Dies führt dazu, dass der gesamte Vorgang sehr zeitaufwendig ist.

Messwerte zur Bestimmung des Selbstvertrauens | © DFKI

Das Bild zeigt Messdaten, die während zweier anderer Vokabeltests erhoben wurden. Beim linken „Tippen“-Test erhielten die Teilnehmer*innen Fragen auf ihrem Smartphone und mussten die Antwort eintippen, während beim rechten „Handschrift“-Test die Fragen auf einem Computer mit Touchscreen angezeigt wurden und die Teilnehmer*innen ihre Antworten mit Hilfe eines Stylus auf den Bildschirm schreiben mussten. Dargestellt ist jeweils eines der erfassten Features, beim Tippen-Test die mittlere Tippgeschwindigkeit auf dem Smartphone, beim Handschrift-Test die mittlere Strichgeschwindigkeit, jeweils pro Person nebeneinander ein roter und blauer Balken.

Es zeigt sich, dass beim Tippen alleine das Feature der Tippgeschwindigkeit (wichtig: nicht der absoluten Antwortzeit) verwendet werden kann um genau zwischen Personen mit hohem und niedrigem Selbstvertrauen zu diskriminieren. Allen Personen mit einer Tippgeschwindigkeit über einem bestimmten Wert konnte man ein hohes Selbstvertrauen zuordnen und umgekehrt kann die KI somit anhand der Tippgeschwindigkeit das Selbstvertrauen bestimmen.
Im Falle des Handschrifttests ist es nicht mehr so einfach. Es zeigt sich, dass die Schreibgeschwindigkeit eine stark von der Person abhängige Eigenschaft ist. Die Messdaten zeigen, dass viele Personen trotz hohem Selbstvertrauen langsamer schreiben, als andere Personen mit niedrigem Selbstvertrauen. Hier also nur die Geschwindigkeit als einzige Eigenschaft heranzuziehen, würde keine zuverlässige Messung ermöglichen. Glücklicherweise lassen sich mit Hilfe moderner Computer größere Datenmengen gleichzeitig verarbeiten, so dass unter Berücksichtigung anderer Features beim Schreiben, wie Winkel, Absetzen des Stiftes, Druck beim Schreiben, usw. auch bei etwas so Individuellem wie Handschrift trotzdem eine korrekte Vorhersage machen lässt.

Es zeigt sich außerdem, dass nicht unbedingt High-Tech-Sensoren eingesetzt werden müssen, sondern auch simple Dinge, wie die Uhr des Geräts oder beim Schreiben auf dem Touchscreen anfallende Daten für diese Messungen verwendet werden können.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich mit Hilfe moderner Technik das Lernverhalten von Probanden erfassen lässt und durch Künstliche Intelligenz die hierbei gewonnenen Daten analysiert werden können um so kognitive Zustände zu bestimmen, Lernprobleme zu identifizieren und individuelle Lernvorschläge zu machen.

Autor des Beitrags:
Dr. rer. nat. Nicolas Großmann
Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH

Kaiserslautern

Researcher