Das XLab an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle
16. Februar 2021 | Alexa Steinbrück
Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale) ist bekannt für ihre großartigen Werkstätten. Insgesamt gibt nicht weniger als zwanzig Werkstätten – darunter eine Textilmanufaktur, Werkstätten für Holz, Metall und Kunststoff, eine Siebdruckerei und eine Digitalwerkstatt mit einer beachtlichen Anzahl verschiedener 3D-Drucker.
Seit Sommer 2020 wurde diese Bandbreite erweitert um das XLab, das Lab für Künstliche Intelligenz und Robotik. Im XLab erforschen wir, Alexa Steinbrück (KI) und Simon Maris (Robotik), die gestalterischen Belange von KI und Robotik. Wir sind eine Anlaufstelle für Studierende, die diese Technologien kennenlernen und in ihre Entwurfspraxis integrieren möchten.
Der Werkzeugkasten der Künstlichen Intelligenz (genauer des Machine Learning) bietet eine Fülle von Techniken und Verfahren: Von der Bild- und Textgenerierung, über Gesten- und Objekterkennung zu Sprachsynthese. Unser Lab ist für Studierende aller Studiengänge offen und wir sehen in der Tat in vielen Studiengängen enormes Potenzial für die kreative Verwendung dieser Techniken:
Im Bereich der digitalen Animation kann das traditionelle Motion Tracking, für dessen Durchführung man üblicherweise ein spezielles Studio anmieten musste, ersetzt werden durch die Gestenerkennung auf Basis neuronaler Netze (z. B. PoseNet). Dabei genügen eine simple Videoaufnahme als Input und die Rechenkraft eines einfachen Laptops.
Auch im Interaction Design bietet Gestenerkennung mit Machine Learning interessante Ansätze, um neue Formen der sensorischen Interaktion zu entwickeln. Letztes Jahr fand bereits ein Workshop dazu bei uns statt, in dem unsere Studierenden dieses Einsatzgebiet erforschen konnten.
Im Bereich der (künstlerischen) Bildproduktion bietet das generative Potenzial von neuronalen Netzen wie sogenannte GANs aussichtsreiche Einsatzmöglichkeiten. Viel gesprochen wurde bereits über die schier unendliche Kapazität dieser Modelle, Bilder zu generieren, die derart realistisch aussehen, als stammten sie aus dem Satz der Trainingsdaten.
Die Website thispersondoesnotexist.com zeigt die Ergebnisse eines sogenannten StyleGANs, welches mit einem Datensatz trainiert wurde, der aus Fotos von realen Menschen besteht. Das „XYZ does not exist”-Paradigma ist inzwischen so populär geworden (manche nennen es sogar „GAN-ism”), dass es unzählige Ableger gibt (thishorsedoesnotexist.com, thischemicaldoesnotexist.com). Erscheinen sie auf den ersten Blick noch realistisch, so fallen auf den zweiten Blick merkwürdige Details auf, die eine Uncanny-Valley-artige verstörende Wirkung haben.
Weniger bekannt sind sogenannte conditional GANs (cGANs), also neuronale Netzwerke, die zum Generieren der Output-Bilder ein konkretes Input-Bild benötigen. Das ermöglicht mehr (künstlerische) Kontrolle über das Ergebnis und gleicht weniger einem Filter als einer wirklichen semantischen Transformation. Populäre Beispiele sind die Transformation von einem rennenden Pferd in ein Zebra oder die Videoexperimente von Memo Akten aus seiner Serie „Learning to see”.
Ähnlichen Techniken werden benutzt, um sogenannte Deepfakes zu erzeugen - eine Sparte von „synthetic media”, die für Kommunikationswissenschaftler*innen, Kommunikationsdesigner*innen und Künstler*innen gleichermaßen interessant ist. Dass man heute mit relativ geringen Programmierkenntnissen selber Deepfakes erstellen kann, ist eine sehr neue, faszinierende und vielleicht auch beunruhigende Entwicklung.
Auch in den Bereichen Text und Sprache gibt es viel zu entdecken. Mit Sprachmodellen wie GPT-2 lassen sich Texte generieren und mittels Transfer Learning auf eigene Datensätze anpassen.
Wo soll man anfangen bei dieser schier unendlichen Bandbreite von Möglichkeiten? Mit dem Machen. „Durch die Hand in den Kopf” lautet der Ausspruch, den ich schon öfter gehört habe, seit ich an der Burg arbeite und er scheint eine richtige Maxime zu sein.
Um das zu erleichtern, bieten wir sogenannte Getting-Started Workshops an: Hier stellen wir den Studierenden Tools und Programme vor, mit denen sie ohne große Vorkenntnisse und teilweise auch ohne Programmierkenntnisse einfach mal loslegen können. Unser Lieblingstool ist dabei RunwayML, eine bahnbrechende Desktop-Software, die von drei Studierenden der Tisch School of the Arts in New York entwickelt wurde, um KI zu demokratisieren und den Kreativen zugänglich zu machen.
RunwayML ist wie eine Art Appstore für Creative AI: Jede App ist ein vortrainiertes Machine Learning Model, das eine bestimmte Aufgabe ausführt, z. B. Objekte auf einem Bild erkennt oder Bilder auf Basis von Text generiert oder auch einfach nur den Hintergrund von einem Video freistellt. Wenn man eigene Datensätze besitzt, kann man sogar Modelle selber trainieren und benutzt dabei die Rechenkapazitäten, die RunwayML bereitstellt.
Musste man früher noch eigene Server anmieten, Code von Github herunterladen und mit der Kommandozeile interagieren, bietet RunwayML nun einen sehr komfortablen Workflow und versteckt all diese Komplexität hinter einer einfachen GUI. Das erspart insbesondere Programmier-Anfänger*innen viel Frust. Und man kann sich stärker auf die eigentliche künstlerische Arbeit konzentrieren.
Diese Demokratisierung ist auch uns ein Anliegen. Wir wollen die Studierenden mit KI arbeiten lassen, sie anregen, einfach mal selber ein Modell zu trainieren. So begreift man: KI ist kein Hexenwerk. „Die KI” gibt es nicht, KI ist ein Forschungsfeld, und dieses beschäftigt sich mit narrow AI. Keines der existierenden KI-Systeme verfügt auch nur annähernd über menschliche Intelligenz, Allgemeinwissen oder Emotionen (strong AI). Wir sollten uns nicht damit aufhalten, KI als autonomes System zu denken und über „eine KI, die kreativ ist”, zu sprechen, sondern darüber, wie die Systeme, die im Bereich KI entwickelt werden, uns künstlerisch nützen können, wo ihre Limits und Fehler liegen, wie wir sie hacken und erweitern können.
Wie bei allem Gehypten sollte man sich immer auch die Sinnfrage stellen: Warum will ich damit arbeiten? Muss ich überhaupt damit arbeiten? Rebecca Fiebrink, die Erfinderin des Machine-Learning-Tools Wekinator, bringt es auf den Punkt: „When and why is it creatively useful to find patterns, make predictions and generate new data?”
Neben der Sinnfrage stellen sich auch diverse Ethikfragen. Dazu hat Lia Coleman letztes Jahr eine sehr empfehlenswerte Broschüre als PDF herausgebracht, eine Art Handbuch über Responsible AI Art. Sie fordert die Künstler*innen heraus: Wenn du mit KI arbeiten willst, dann musst du dich aber auch diesen Fragen stellen: Wo kommen die Trainingsdaten her und wie divers sind sie, wer wird repräsentiert und wer nicht? Wo kommt das Machine Learning Model her, von wem wurde es entwickelt? Wie stark belastet das Trainieren des Models die Umwelt? Kann man den Trainingsprozess verkürzen oder effektiver machen? Das scheint erstmal wie ein Marathon, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken.
Ich blicke gespannt auf die kommenden Monate mit den Studierenden. Ich freue mich auf wilde Experimente, Hacks und Zweckentfremdungen. Ich freue mich auf stolze Studierende, die das erste Mal etwas selber programmiert haben. Ich freue mich auf spannende Kooperationen mit den alteingesessenen Werkstätten wie beispielsweise der Jacquardweberei. Ich freue mich auf kritische Gespräche über sozio-politische Themen, Machtstrukturen, Bias, Gender und welche Zukunft wir uns eigentlich für unser Leben mit oder ohne Technologie wünschen.
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Alexa Steinbrück ist Software-Entwicklerin und Künstlerin und lebt in Leipzig. Sie hat Künstliche Intelligenz in Amsterdam und Bildende Kunst in Dresden und Südfrankreich studiert. Seit 2020 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im XLab der Burg Giebichenstein Halle.
Die BurgLabs sind Plattformen für disziplinübergreifende Forschung an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. In drei Laboratorien setzen sie sich forschend und entwerfend mit material-technologischen Fragen auseinander, um Zukünfte zu gestalten. Mit dem SustainLab, dem BioLab und dem XLab fokussieren sie die Gebiete Nachhaltigkeit, Biotechnologie, Künstliche Intelligenz und Robotik. Im Zentrum der Betrachtung steht das Verhältnis von natürlicher und vom Menschen geschaffener Umwelt. Das Projekt wird gefördert durch die Europäische Union und das Land Sachsen-Anhalt.
Neuwerk 7
06108 Halle (Saale)